Der Rattenfänger
Bienenstich.
Vorsichtig hob Hawkwood das Kissen hoch. Auf dem Laken darunter lag ein Stilett mit einer fünfzehn Zentimeter langen, schmalen, sehr scharfen spitzen Klinge. Der etwa gleich lange schwarze Griff war mit kunstvoll geschmiedeten goldenen Intarsien verziert. Eine Waffe von höchster Handwerkskunst, erkannte Hawkwood sofort. Ebenso erlesen wie tödlich.
Catherine hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Lachen zu unterdrücken. Ihre Augen funkelten fröhlich, als sie über ihn hinweggriff und das Stilett aus seinem Versteck nahm. »Oh, Schatz, verzeih mir! Ich hatte ganz vergessen, dass es unter dem Kissen lag.« Sie legte die Waffe beiseite und nahm seine Hand. »Lass mich mal sehen.«
Sie neigte den Kopf, als wollte sie die Wunde betrachten, doch ehe er sie daran hindern konnte, umschloss sie mit ihrem Mund seine Fingerspitze und liebkoste mit der Zunge seinen Finger. Mit geschlossenen Augen saugte sie das Blut aus der Wunde.
Dann hob sie den Kopf und fragte lächelnd: »Hast du mir verziehen?«
Als Catherine sah, dass er noch immer das Stilett anstarrte, erklärte sie: »Wir leben in gefährlichen Zeiten, Schatz. Eine Lady muss sich schützen.«
»Vor wem?«
»Vor Bonapartes Geheimagenten, natürlich. Der Kaiser macht Jagd auf uns.«
»Uns?«, fragte Hawkwood.
»Auf im Exil lebende Franzosen, die Bonaparte stürzen wollen. Allein in diesem Jahr hat der Kaiser zweimal Agenten geschickt, um den Comte d’Artois zu töten. Jeder, der die Bourbonen unterstützt, ist in Lebensgefahr. Wir müssen ständig auf der Hut sein, um uns selbst verteidigen zu können. Dieses Recht kannst du mir doch nicht absprechen, oder?«
Hawkwood wollte gerade vorschlagen, dass sie ihre Ehre besser mit ein paar Pistolen verteidigen könne, doch er schwieg, als sie sich vorbeugte und das Stilett vom Laken nahm. Fasziniert sah er zu, wie sie die Waffe an ihre Lippen hielt und die Klinge küsste, eine Geste vollendeter Erotik, wie das Gleiten ihrer Lippen über seine Fingerknöchel. Er sah, dass sich ihre Brustwarzen aufrichteten, und einen flüchtigen Augenblick lang schienen Catherine und der blitzende Stahl eins zu sein, vereint wie Liebende. Er spürte, wie ihn dieser Anblick erregte.
»Wärst du nicht zu meiner Rettung herbeigeeilt«, sagte sie mit funkelnden Augen. »Ich hätte diesem Schwein Rutherford das Stilett ohne zu zögern in den Leib gerammt.«
Dann legte sie das Stilett auf ihren Nachttisch, drehte sich zu ihm um und säuselte: »Genug davon! Was musst nur du von mir denken, wenn ich solche Sachen sage?« Über ihn gebeugt, fügte sie mit einem verführerischen Lächeln hinzu: »Wo wir uns doch auf viel angenehmere Art die Zeit vertreiben können!«
Es war später Vormittag, als Hawkwood zum Blackbird kam, dem Wirtshaus am unteren Ende der Water Lane, einer der vielen verschlungenen Gassen, die von der Südseite der Fleet Street zum Fluss führte. Versteckt in einem Labyrinth von Höfen und Durchgängen, weniger als einen Steinwurf vom Kings Bench Walk und dem Inner Tempel entfernt, war es unvermeidlich, dass zu den Stammgästen des Wirtshauses hauptsächlich Vertreter der Jurisprudenz gehörten. Die Nähe zur Temple Church und St. Dunstan’s lockte auch regelmäßig geistliche Würdenträger an, wie auch Schriftsteller, Schauspieler und Politiker, die gern durch die niedrige Tür auf der Suche nach einem späten Abendessen und einem entspannenden Drink traten.
Für Hawkwood war das Blackbird allerdings mehr als nur ein Gasthaus. Hier war er zu Hause. Er bewohnte zwei Zimmer unter dem schrägen Dach, die ihm Ruhe und Zuflucht boten, wenn er sich von dem hektischen Treiben auf den Straßen, einem wesentlichen Bestandteil seines Lebens, zurückzog.
Mehrere Nischen in der Schankstube waren besetzt. Der eine oder andere Stammgast blickte auf und nickte Hawkwood zu. An den Tischen wurde gegessen, getrunken, geredet, Schach und Whist gespielt, während andere Gäste das Alleinsein vorzogen, Kaffee tranken, Pfeife rauchten und die Morgenzeitung lasen.
»Na, so was. Sind Sie’s tatsächlich, Officer Hawkwood? Und wahrscheinlich wollen Sie frühstücken?«, sagte eine Frau mit melodischer Stimme hinter seinem Rücken.
Hawkwood drehte sich um und begrüßte sie lächelnd: »Guten Morgen, Maddie.«
Maddie Teague, groß und schlank, das Gesicht von kastanienbraunem Haar eingerahmt, war sich ihrer Schönheit bewusst, ohne dabei eitel zu sein. Vor allem ihre smaragdgrünen Augen hatten so manchen Mann in
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