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Der Rattenfänger

Der Rattenfänger

Titel: Der Rattenfänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James McGee
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»Da gibt es noch etwas, das mich beunruhigt.«
    James Read nickte. »Sie fragen sich, wie William Lee an all diese Informationen gekommen ist. Ich muss gestehen, dass auch mir diese Frage große Sorge bereitet.«
    »Er muss Freunde an höchster Stelle haben.«
    »Und worauf gründet sich Ihre Annahme?«
    »Das ist keine Annahme, sondern eine Tatsache. Lee hat es mir bestätigt, als ich ihn fragte, woher er wisse, dass ich Captain gewesen sei.«
    »Das hat er bestimmt von Lord Mandrake oder von diesem Scully erfahren«, sagte James Read.
    »Vielleicht«, wandte Hawkwood ein. »Aber da bin ich mir nicht so sicher. Es war die Art, wie er das gesagt hat: ›Es gibt da gewisse höher gestellte Freunde.‹ Er hat mit seinen Beziehungen geprahlt und damit bestimmt weder Lord Mandrake noch diesen Scully gemeint. Wie hat Mandrake erfahren, dass wir ihn überprüfen wollten? Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch nicht einmal vermutet, dass er ein Landesverräter ist, aber Mandrake wusste, dass wir gegen ihn ermitteln. Daher seine überstürzte Abreise. Auf welche Weise hat er davon Wind bekommen?«
    »Und da ist noch etwas …« Hawkwood schwieg kurz. »Als ich Lee sagte, dass wir wissen, was sie mit der Thetis vorhaben, schien ihn das zu amüsieren. Er antwortete mir, wir glaubten nur, es zu wissen. Woher weiß er, was wir vermuten? Vielleicht hat ihm das jemand gesagt.«
    James Read schloss die Augen und massierte sich den Nasenrücken. Plötzlich wirkte er erschöpft. Dann machte er die Augen wieder auf und sprach leise und zögerlich: »Ist Ihnen klar, was Sie da andeuten?«
    »Ich könnte mich auch irren«, lenkte Hawkwood ein.
    »Sie könnten aber auch Recht haben«, sagte der Oberste Richter mit finsterer Miene.
    »Da gibt es noch etwas«, sagte Hawkwood.
    »Was?«, fragte der Oberste Richter.
    »Christopher Marlowe.«
    »Wer, verdammt noch mal, ist Christoper Marlowe?«, mischte sich jetzt Jago in das Gespräch ein. »Etwa noch ein Kumpel von Scully?«
    »Nicht ist, sondern war, Sergeant«, erklärte James Read geduldig. »Er war ein Dichter und schrieb Theaterstücke und starb vor über zweihundert Jahren. Entschuldigen Sie, Hawkwood, aber ich kann den Zusammenhang nicht erkennen.«
    »Da sind Sie nicht der Einzige«, sagte Jago. »Was hat dieser Schreiberling damit zu tun?«
    Im Gegensatz zu William Lee hatte sich der Oberste Richter nicht überrascht gezeigt, dass Hawkwood mit den Werken des Dramatikers vertraut war. Zu den vielfältigen Pflichten eines Bow Street Runners gehörte auch der Personenschutz.
    Und einer von Hawkwoods berühmt-berüchtigten Schützlingen war der Schauspieler Edmund Kean gewesen. Dieser Edmund Kean, ein kleiner, unattraktiver, mürrischer Mann, war im Jahr davor im Theater von Covent Garden bei Vorstellungen von Christopher Marlowes Werken aufgetreten. Hawkwood hatte während seines Dienstes die meiste Zeit hinter den Kulissen verbracht und miterlebt, wie sich dieser im Leben so ungehobelte und arrogante Mann auf der Bühne in einen brillanten Schauspieler verwandelte. Er riss seine Zuschauer mit unkonventionellen Darstellungen zu Begeisterungsstürmen hin. Seitdem hatte Hawkwood größten Respekt vor der Schauspielkunst und eine Vorliebe für Christoper Marlowes Werke.
    »Lee hat aus dem Dr. Faustus zitiert«, sagte Hawkwood.
    Als Nathaniel Jago ihn verständnislos anstarrte, kam der Oberste Richter dem Sergeant zu Hilfe: » Doktor Faustus ist die Titelrolle in einem gleichnamigen Theaterstück von Christopher Marlowe. Er verspricht dem Teufel seine Seele und bekommt dafür Macht und Reichtum.« Dann verzog James Read das Gesicht. »In der Quintessenz des Dramas hat Lee offensichtlich eine Ähnlichkeit mit seinen aktuellen Verbündeten entdeckt.«
    »Lee hat mich auch daran erinnert, wo Marlowe gestorben ist«, sagte Hawkwood.
    Der Oberste Richter wandte ihm langsam das Gesicht zu.
    »Er hat gesagt: Selbst Marlowes Tod habe Deptford keine größere Bedeutung verliehen. Und dass die Geschichte manchmal sonderbare Wege gehe.«
    Als James Read die Bedeutung dieser Worte begriff, stöhnte er: »Oh, mein Gott!«
    »Würde mir vielleicht jemand verraten, worum es hier geht, verdammt noch mal?«, fragte Jago empört.
    »Das bedeutet, Sergeant«, sagte James Read und schüttelte den Kopf, »dass wir unseren amerikanischen Freund ganz gewaltig unterschätzt haben. Mein Gott, Hawkwood, hoffentlich haben Sie sich geirrt. Wenn nicht, ist unser William Lee nicht nur ein arroganter Schurke, sondern er

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