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Der Rattenzauber

Titel: Der Rattenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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los. Ich selbst stieß dem Pferd meine Fersen in die Flanken. Aufgescheucht sprengte es vorwärts.
    Hinter uns übertönte ein Krachen die Schreie der Menschen, ein Donnern und Grollen wie beim Fall der Mauern zu Jericho. Ein Schwall glühender Hitze hieb in meinen Rücken, und sogleich schossen scharfe Holzsplitter an mir vorüber wie Pfeilhagel einer feindlichen Armee. Ein spitzes Etwas streifte meinen Nacken und hinterließ eine Spur glühender Pein. Ich wagte nicht, mich umzuschauen, legte mich nur enger an den Hals des Pferdes, schloß die Augen und ließ mich von dem braven Tier in Sicherheit tragen. Überall um mich her waren Schreie, ein Ozean von Schmerz und Verzweiflung, als Zuschauer, die nicht schnell genug fortgekommen waren, von brennenden Trümmern des Scheiterhaufens zu Boden gerissen wurden. Das Schreien des Ketzers war verstummt, kurz bevor die Explosion seinen Körper zerriß, doch das Brüllen der Männer und Frauen schien es noch lange über seinen Tod hinaus fortzusetzen.
    Mein Pferd galoppierte über den Marktplatz hinaus in den Schlamm, schwarze Fontänen spritzten gleich teuflischen Geysiren auf, und hier endlich brachte ich das panische Tier zum Stehen. Unter einigem Wiehern und leichtem Aufbäumen gab es schließlich Ruhe. Ich ließ es umdrehen und blickte nun direkt in das Inferno, das den östlichen Teil des Markplatzes überzogen hatte wie der Glutregen eines feuerspeienden Berges. Vom Scheiterhaufen und dem Ketzer war nichts übriggeblieben. Überall lagen brennende Holzteile, durch die verstörte Bürger in rauchender Kleidung irrten, auf der Suche nach Freunden und Verwandten oder einfach nur nach einem Ausweg. Hier und da lagen Menschen am Boden, doch soweit ich sehen konnten, regten sich alle; keiner schien tödlich verletzt.
    Mit einer Ausnahme. Einhard war es nicht gelungen, rechtzeitig vom Scheiterhaufen fortzukommen. Er war der letzte gewesen, der sich von dem sterbenden Ketzer abgewandt hatte, und die feurige Eruption hatte ihn mit aller Macht erfaßt. Sein Körper lag verdreht wie ein altes Laken inmitten des Flammensees, Glut zuckte über seine verkohlte Kleidung, und fingerlange Holzspäne ragten ihm aus Gesicht und Oberkörper.
    Zwei seiner Männer eilten auf ihn zu und beugten sich über ihn, doch war ihrem Mienenspiel zu entnehmen, daß kein Leben mehr im Körper ihres Anführers war. Vorsichtig hoben sie ihn auf und trugen ihn hinüber zum Eingang des Rathauses, wo sich einige der Stadtoberen nun zögernd ins Freie wagten.
    Wie durch ein Wunder (und zweifellos würde man es später als solches bezeichnen) war die hölzerne Mysterienbühne von den Flammen unversehrt geblieben. Der Bereich, in dem die verstreuten Reste des Scheiterhaufens lagen, endete wenige Schritte vor dem gewaltigen Bauwerk. Auch bestand keine Gefahr, daß das Feuer auf andere Teile Hamelns übergreifen konnte, denn um den Platz herum war schließlich nichts als sumpfiges Ödland. Kirche und Rathaus hatte man aus massivem Stein errichtet, lediglich zwei Fenster waren von fliegenden Trümmern zerschmettert worden. In den leeren Rahmen steckten noch Splitter des dicken, gelben Glases wie faulige Fangzähne.
    Ich wußte, daß ich niemandem helfen konnte, und verspürte auch keinerlei Drang dazu. Ich hatte von ähnlichen Begebenheiten aus anderen Städten munkeln hören, Menschen, die selbst in den Flammen ihrer Scheiterhaufen nicht aufgaben und ihre Henker mit in die Hölle rissen. Das graue Pulver aus dem Inneren der Wachskugeln war eine neue Errungenschaft, und niemand, den ich kannte, hatte es zuvor mit eigenen Augen gesehen oder gar seine furchtbare Wirkung studiert. Sicher, Gerüchte kursierten an den Höfen, doch taten sie das über allerlei Zauberzeug, und keiner wußte, was wahr und was erlogen war. Das Feuerpulver jedenfalls schien höchst wirklich zu sein, und viel mehr als das Leid des dummen Pöbels beschäftigte mich die Frage, wie ein zerlumpter Ketzer gerade hier, an diesem Außenposten höfischer Macht, in seinen Besitz gelangen konnte.
    Während ich über die Hauptstraße zurück zum Osttor und von dort aus entlang der Stadtmauer zu den Häusern der Reichen im Süden ritt, kam mir ein Gedanke, der mir zuvor gänzlich entgangen war.
    Zwar hatten sich zahlreiche Zuschauer zur Hinrichtung des Ketzers versammelt, doch etwas hatte an dem Bild nicht gestimmt, das sich mir bei meiner Ankunft auf dem Marktplatz bot. Dies war nicht der erste Feuertod eines Unglücklichen, dem ich beigewohnt hatte,

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