Der Raub des Wikingers
sagen: »Nur weil ich langsam spreche, heißt das nicht, dass ich auch langsam denke.«
Das Mädchen kicherte nur. Wahrscheinlich verstand sie die Sprache nicht und dachte, er bezöge sich auf ihre rot gefärbten Brustspitzen, die durch den Stoff des Gewandes schimmerten.
»Hier ist eine Saga für euch«, sagte Bolthor. »Die Wikinger Ansicht des Lebens.
Einige Länder sind schwer reich,
was oft zu Exzessen führt.
Gold, Juwelen und samtene Kleider,
so viel zu essen, dass man fast platzt.
Pferde, Boote, Frauen, Sklaven und mehr
- nie scheint es genug davon zu geben,
sodass Gier und Geiz die Oberhand gewinnen.
Mich dünkt, man sollte preisen
die einfache Art zu leben.
Essen, ein Dach, Feuer und eine Frau -
das alleine braucht man für ein glückliches Leben.«
Zum ersten Mal machte Bolthors Saga Sinn. Tykir nickte, und Adam sagte ihm, dass er ehrlich beeindruckt sei. Es war etwas Abstoßendes an dem Uberfluss dieses Hofes. Armut und Reichtum dürften nicht so weit auseinander klaffen. Seltsame Einsicht. Wer hätte gedacht, dass Bolthor auf so etwas käme? Vielleicht hatte Adam selber auch den Fehler gemacht zu denken, dass Bolthor langsam dachte, nur weil er langsam sprach.
Adams Sklavin, die er auf dreizehn Jahre schätzte, hatte Thorvald gerade eine Nachricht überbracht. Jetzt kam sie zurück.
»Euer König sagt, Ihr sollt kommen, der Kaiser will jetzt mit Euch sprechen«, meldete sie ihm mit Kinderstimme. »Ihr beide auch«, wandte sie sich an Tykir und Bolthor.
Adam nickte und erhob sich, während Thorvald mit der Hilfe zweier Diener dasselbe tat. Einer reichte ihm seinen Stock. Wenn Adam nicht um Tyra so besorgt gewesen wäre, hätte er sich um den König g esorgt, der nicht so kräftig war, wie er gerne glauben wollte.
Kurz darauf standen sie vor der Kaiserin und dem Kaiser, deren Liegen etwas erhöht über denen der anderen auf einer Empore standen. Romanus und Theophano - beide ausnehmend attraktiv - erhoben sich nicht. Sie blieben aufgestützt liegen.
Sie vier waren in ihre besten Kleider gehüllt - Wolle, Stickerei, Juwelen - aber neben dem Kaiserpaar sahen sie aus wie Bettler.
»Willkommen in Byzanz, Thorvald. Ich glaube, ihr wart ein Freund meines Vaters.«
Thorvald nickte. »Und auch seines Sohnes.«
Nachdem Thorvald sie vorgestellt hatte, begann Romanus: »Ich habe gehört, dass Ihr kürzlich eine wundergleiche Operation an Euch habt durchführen lassen.«
Oh, nein, nicht schon wieder die Wunder, dachte Adam.
»Ja, das habe ich, ein Loch im Kopf.«
Oh, nein, jetzt keinen Witz.
»Das ist der Arzt, der mich operiert und mir das Leben gerettet hat«, fuhr der König fort und deutete auf Adam.
»Aah«, seufzten der Kaiser und die Kaiserin beeindruckt. Oder gelangweilt?
»Möchtet Ihr morgen gerne mein Hospital besichtigen? Ich habe fünf. Vielleicht könnt Ihr das Kopflochbohren meinen Ärzten erklären«, wandte sich Romanus an Adam.
»Es wäre mir eine Ehre ... zu einem anderen Zeitpunkt. Im Moment habe ich ein drängendes Problem, das heißt wir haben es, das vorgeht.«
Er sah, dass der Kaiser über seine Antwort nicht erfreut war. Dennoch fragte Romanus: »Und was mag dieses drängende Problem sein?«
»Meine Tochter«, schaltete sich der König ein. »Ich muss meine Tochter Tyra sehen.«
»Meine Verlobte Tyra«, antwortete Adam zeitgleich.
»Eure Verlobte?«, fragte die Kaiserin überrascht.
Gleichermaßen überrascht wandte der Kaiser sich an seine Frau. »Sie hat uns gar nicht gesagt, dass sie verlobt ist, nicht wahr, Theo?«
»Sie weiß es noch nicht«, gab Adam zu und errötete vor Verlegenheit.
Romanus und Theophano lächelten, und Bolthor, Tykir und Thorvald kicherten.
»Wo ist sie?«, fragte Adam geradeheraus.
Der Kaiser sah ihn aus schmalen Augen an. »Sie dient bei der Ostarmee«, antwortete er genauso offen.
Theophano legte ihrem Mann eine Hand auf den Arm, und ein lauernder Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Ach, habe ich dir das noch gar nicht erzählt? Die Männer aus Stoneheim dienen mit der Varangiergarde unter General Leo Phocas, aber die Kriegerin, die man Tyra nennt...« Sie zuckte die Achseln und verstummte.
»Was ist mit Tyra?«, fragten Adam und Thorvald gleichzeitig.
»Es tut mir Leid, sie wird vermisst«, erklärte Theophano.
Thorvald stieß ein Brüllen aus, und zum ersten Mal sah Adam, warum man Thorvald den nordischen Wolf nannte. Adam war genauso wütend wie der König über die gleichgültige Art der Kaiserin.
Der Kaiser
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