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Der Rauchsalon

Der Rauchsalon

Titel: Der Rauchsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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Anoras kurzem grauen Haar und ihren weißen Stoppeln um Kinn
und Mund war für Außenstehende nur schwer feststellbar, wer von beiden nun der
Mann und wer die Frau war.
    Barnwell Quiffen sah aus wie
Rumpelstilzchen und war genau wie dieser äußerst kampflustig. Er sah sich
wütend in dem zauberhaft geschnittenen, geräumigen Zimmer um, rümpfte die Nase
über Anoras bewundernde Ausrufe, mit denen sie Sarahs hervorragende
Renovierungskünste lobte, und schnaubte: »Noch nicht mal ein Schreibtisch! Ich
wußte ja gleich, daß es reine Zeitverschwendung sein würde herzukommen. Das
geht natürlich nicht! Ohne Schreibtisch kann ich hier unmöglich leben!«
    »Besorg ihm doch einen Schreibtisch,
Sarah«, sagte George schläfrig.
    »Stell dich nur nicht so an, Barney«,
sagte Anora. »Sarah, Barney braucht einen Schreibtisch, um seine giftigen
Briefe aufzusetzen. Du hast doch einen in der Bibliothek, wenn ich mich nicht
irre? Dort brauchst du ihn doch eigentlich gar nicht, oder?«
    »Nein«, stammelte Sarah. »Ich habe mir
schon überlegt, wo ich ihn — «
    »Hervorragend. Dann nimmst du den
kleinen Tisch hier heraus und stellst statt dessen den Schreibtisch ins Zimmer.
Mach schon, Barney, Tantchen Anora hat einen schönen, großen, wunderbaren
Schreibtisch für dich, an dem du dir wichtig vorkommen kannst. Zeig ihm das
Ding, Sarah.«
    Gemeinsam marschierten sie durch den
Flur in die Bibliothek und inspizierten höchst ernsthaft den hübschen stabilen
Schreibtisch aus Walnußholz, hinter dem früher Alexanders Vater und vor ihm
dessen Vater gesessen hatte. Der Gedanke, ihn jetzt diesem wichtigtuerischen
kleinen Mann zu überlassen, behagte Sarah zwar überhaupt nicht, aber offenbar
hatte sie in dieser Angelegenheit wenig zu sagen. Andererseits mußte sie ihn
sowieso hier herausnehmen, sonst hatten ihre Mieter keinen Platz zum Sitzen.
    Quiffen gab knurrend zu, daß der
Schreibtisch brauchbar sei, fragte jedoch nach dem dazu passenden Aktenschrank.
Für seine wichtige Korrespondenz brauche er unbedingt einen Aktenschrank.
    »Besorg ihm schon einen Aktenschrank«,
brummte George.
    »Hier ist ja schon einer«, sagte Anora.
»Was ist denn da drin, Sarah? Wahrscheinlich der ganze alte Komiteekram von
Caroline. Schmeiß das Zeug doch einfach weg.«
    Auf diese Weise kam Mr. Quiffen an den
Aktenschrank für seine wichtige Korrespondenz, die, wie Sarah sich vage
erinnerte, hauptsächlich aus Leserbriefen bestand und sich vor allem damit
beschäftigte, was irgend jemand falsch gemacht hatte und was in Boston und um
Boston herum alles nicht stimmte. Wenn auf dem Cleveland-Circle-Bahnsteig eine
Glühbirne flackerte, wenn es eine rote Tulpe wagte, sich im Park an einer
Stelle zu zeigen, an der nur gelbe Tulpen vorgesehen waren, wenn (was höchst
unwahrscheinlich war) ein Posaunist im Boston Symphony Orchestra ein B blies,
das einen Halbton zu hoch war, war Barnwell Augustus Quiffen sofort zur Stelle,
griff nach dem Füllhalter und bedauerte, darauf aufmerksam machen zu müssen.
    Als Mariposa schließlich den Tee
servierte — Charles war zu diesem Zeitpunkt noch in der Fabrik — , taute Mr.
Quiffen genügend auf, um aus seinem Familienstammbaum zu zitieren, woraufhin
Anora brüllte: »Sie will dich doch nicht als Zuchthengst einstellen, Barney.
Trink deinen Tee, und laß das arme Mädchen in Ruhe. Sie wird noch genug
auszuhalten haben, wenn du erst mal eingezogen bist.«
    Sarah vermutete, daß dies wohl mehr als
wahrscheinlich war. Der alte Barnwell Augustus ging ihr bereits stark auf die
Nerven. Allerdings führte seine Bereitschaft, auf der Stelle den Scheck für die
vereinbarte Vorauszahlung der Monatsmiete auszufüllen, die dank der
arithmetischen Künste von Onkel Jem ziemlich hoch ausfiel, bei ihr zu dem
Entschluß, den alten Herrn vielleicht doch ganz akzeptabel zu finden. Da die
Protheroes es immerhin geschafft hatten, all die Jahre lang mit ihm befreundet
zu sein, mußte er wohl auch seine angenehmen Seiten haben. Für den Fall, daß
sie diese Seiten nicht entdeckte, konnte sie sich zumindest darauf verlassen,
daß Anora ihn zurechtstauchte, wenn er zu sehr über die Stränge schlug.
     
     

Kapitel
3
     
     
     
     
     
     
     
    A llen guten Absichten der Beteiligten
zum Trotz dauerten die Renovierungsarbeiten doch länger als erwartet. Die
Arbeiten, mit denen sie Ende November angefangen hatten, waren noch lange nicht
beendet, als sie feststellte, daß die Feiertage, vor denen sie sich so
gefürchtet hatte, vor der Tür

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