Der Rauchsalon
sie dazu gedrängt worden war, sich Barnwell
Augustus Quiffen aufzuhalsen, hatte sie nämlich William Hartler aufgesucht.
Mr. Hartler war genauso fröhlich wie
Mr. Quiffen widerlich, was wohl für sich sprach. Er strahlte und kicherte und
erwähnte die entzückenden Partys bei Tante Marguerite, wo sie sich auch
kennengelernt hatten, und Sarah erinnerte sich, daß es eigentlich an Mr.
Hartler gelegen hatte, daß die betreffenden Zusammenkünfte weniger schrecklich
gewesen waren als sonst üblich.
Damals war er stets in Begleitung
seiner Schwester gewesen. Sarah erinnerte sich vage an eine sanfte, hingebungsvolle
Seele, die noch kleiner und beträchtlich dünner war als er. Sie hieß Joanna,
doch William und sie hatten sich immer mit irgendwelchen lächerlich kindlichen
Kosenamen angeredet, auch wenn sie beide bereits 70 waren oder zumindest auf
die 70 zugingen. Sie hatte ihren Bruder vergöttert, und Sarah hatte den
Eindruck gehabt, daß sie ihm den Haushalt führte, da sie beide, jedenfalls
soweit sie wußte, unverheiratet waren. Warum aber war William jetzt allein?
»Oh, Joanna hat sich aus dem Staub
gemacht«, berichtete Mr. Hartler. »Sie hat mich sitzenlassen, um mit einer
alten Freundin aus dem Internat den Winter in Rom zu verbringen. Tut ihr sicher
gut, mal zur Abwechslung von hier wegzukommen. Aber für mich ist es ganz schön
scheußlich, das kann ich Ihnen sagen. Wir haben unsere Wohnung in Newport
verkauft und für unsere Sachen ein Lager gemietet. Wir haben vor, uns in Boston
ein Apartment zu suchen, wenn sie wieder zurück ist. In der Zwischenzeit hocke
ich jetzt hier allein herum und komme vorn und hinten nicht zurecht. Ich habe
es schon mit einem Hotel ausprobiert, aber das hat mich ein Vermögen gekostet,
also hause ich jetzt in einem Zimmer drüben in der Hereford Street, was
bedeutet, daß ich mich ständig in Restaurants schleppen muß, wenn ich etwas essen
möchte. Spaß macht das überhaupt keinen. Hier bei Ihnen zu wohnen wäre geradezu
ideal. Gute Verpflegung, nette Gesellschaft, schönes Haus, Erdgeschoß. Ich darf
nämlich keine Treppen steigen, wissen Sie. Soll angeblich mein Herz sein, sagt
jedenfalls der Arzt. Ansonsten bin ich topfit.«
Sarah glaubte es ihm. Mr. Hartler hätte
ohne weiteres das Modell für das Bild vom Nikolaus von Thomas Nast sein können,
den richtigen Bauch und das Zwinkern besaß er schon, allerdings war er
glattrasiert und rauchte keine Pfeife und war alles in allem genauso ein
gepflegter, feiner Gentleman, wie sich eine Pensionswirtin einen Pensionsgast
für ihren Salon nur wünschen konnte.
»Und für meine Arbeit wäre es auch
ideal gewesen«, seufzte er.
»Ihre Arbeit?« fragte Sarah überrascht.
»Ehrenamtlich, natürlich, aber trotzdem
ziemlich wichtig. Außerordentlich wichtig sogar! Ich suche nach Gegenständen
für den Iolani-Palast, der ja restauriert werden soll. In Honolulu, wissen
Sie.«
»Zufällig habe ich tatsächlich davon
gehört. Edgar Driscoll hat vor einiger Zeit eine faszinierende Titelgeschichte
dazu im Bostoner Globe herausgebracht, und wir bekamen damals, als mein
Mann noch lebte, einen Brief, in dem man anfragte, ob wir nicht etwas vom
Besuch der königlichen Hoheiten im Jahre 1887 hätten, das wir stiften könnten.«
»Und hatten Sie?« rief Mr. Hartler
höchst interessiert.
»Nichts Besonderes. Königin Kapiolani
und Prinzessin Liliuokalani haben nie bei uns gewohnt, sie sind allerdings
einmal nachmittags zum Tee hergekommen.«
»Sie waren hier? In diesem Zimmer?«
»Leider nein. Sie haben in unserem
offiziellen Salon gesessen.«
»Mrs. Kelling, könnte ich diesen Raum
wohl sehen? Nur für eine Sekunde?«
Sarah schüttelte den Kopf. »Es tut mir
schrecklich leid, aber das geht nicht, weil er gar nicht mehr existiert. Ich
mußte ein Schlafzimmer daraus machen. Es wäre Ihr Zimmer geworden, wenn Sie nur
ein wenig eher gekommen wären.«
Einen Moment lang dachte Sarah, daß Mr.
Hartler in Tränen ausbrechen würde.
»Ich fühle mich genauso, als hätte mir
der heilige Petrus das Himmelstor vor der Nase zugeschlagen«, sagte er mit
einem kläglichen Lächeln. »Wenn ich mir vorstelle, daß ich in genau demselben
Zimmer geschlafen hätte, in dem diese beiden wunderbaren, faszinierenden Damen
gesessen und Tee getrunken haben! Mrs. Kelling, ich bin am Boden zerstört,
einfach am Boden zerstört. Ich hoffe bloß, daß der glückliche Mensch, der jetzt
in diesem Zimmer wohnt, sein großes Glück zu würdigen weiß. Handelt es
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