Der Regen in deinem Zimmer - Roman
will dauernd wissen, was man macht, mit wem man redet, wie viel man trinkt, der fürsorgliche Priestertyp eben. Bestimmt hat er schon sämtlichen Mauerblümchen der Schule zugesagt. Dann ist da noch Giovanni, höchster Schwierigkeitsgrad. 13 A, sportlich, dunkelbraune Haare, grüne Augen, klug und witzig, arrogant oder nett, je nachdem, wen er vor sich hat und was er von ihm will. Letztes Jahr hat er mir ein bisschen den Hof gemacht, wann immer ich vor der Schule mit einer aus meiner Klasse zusammenstand, war er nicht weit. Einmal hat er mich sogar gefragt, ob er mich auf seinem Motorrad mitnehmen soll. Der weiß, wie man mit Mädels umgeht, und ich wette, es gibt keine, dienicht im Grün seiner strahlenden Augen ertrinkt, wenn sie mit ihm redet. Natürlich kann so einer sich vor Verehrerinnen nicht retten, und die Gefahr, ein Tut-mir-leid-Süße zu kassieren und damit in aller Munde zu sein, ist verdammt hoch. Ich will zwar einen draufmachen, aber ganz in Ruhe, sozusagen, ohne größere Aufregung. Mit Giovanni steht man automatisch im Mittelpunkt, und das ist mir eindeutig zu viel. Gut möglich, dass ich auch dieses Jahr zu Hause bleibe, wir werden sehen. Noch sind ein paar Tage Zeit, vielleicht taucht auf den letzten Drücker noch jemand auf, der es genauso nötig hat wie ich.
22. November
Bis gestern war ich mir noch sicher, ich würde auch dieses Jahr zu Hause bleiben, doch heute in der Pause kam die Überraschung. Die Vorsehung hat es gut mit mir gemeint und mir Marco über die Füße stolpern lassen, den Mara aus der 13 C gerade geschasst hat. Nachdem er ein Jahr in einer On-Off-Beziehung mit ihr festsaß, die, wie böse Zungen behaupten, schon viel zu lange gedauert hat, hat er – so erzählte er mir – endlich den Absprung gekriegt und ein für alle Male Schluss gemacht. Wie genau dieser Absprung aussah, verrät er mir nicht, und es ist mir auch egal, ob wirklich Schluss ist. Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul. Was hätte mir Besseres passieren können? Marco ist nett und kein Arschloch, und weil er noch immer verliebt ist, wird er sich nicht gleich um elf auf mich stürzen. Es ist zwar noch drei Tage hin, aber wir sind schon bei der Abendplanung: um sieben Aperitif am kleinen Platz, um neun Pizza und Bier bei Lucio. Dann auf ins Getümmel.
Während ich mit Marco rede, merke ich, wie Sonia mich ansieht. Vielleicht denkt sie, meine Depri-Phase ist vorbei und ich werde wieder normal. Doch meine Genesung ist noch weit hin und das, was sie für einen untrüglichen Fortschritt hält, nur ein kurzer euphorischer Moment. Würde sie öfter mit ihrem Vater, dem berühmten Psychiater, reden, wüsste sie, dass bei mir eine klassische bipolare Störung vorliegt. Dann könnte sie endlich Ruhe geben und aufhören, mir mit ihrem ständigen Geflöte auf den Geist zu gehen.
Was meinen erlauchten Banknachbarn, Seine Majestät König Zero angeht, fragt ihn mal wieder kein Schwein nach der Party, und soweit ich weiß, fordert er auch keine auf. Wer weiß, was er gesagt hätte, wenn ich ihn gefragt hätte. Während ich mit Marco rede, sieht Zero mehrmals zu mir rüber, das zweite Mal etwas länger, dann beugt er sich über seinen Allzweck-Block und kritzelt vor sich hin. Wetten, dass ich ihn heute zu einer Zeichnung inspiriere, meinem Porträt, am Ende? Ich muss grinsen: Zeta, die Muse, oder besser, die Mucksche. Als er das dritte Mal hersieht, gucke ich zurück. Unsere Blicke halten einander stand. Inzwischen redet Marco mit meinem rechten Ohr, ich will den Kampf nicht verlieren, doch schließlich gebe ich auf, Zero soll bloß nicht denken, ich wollte etwas von ihm. Ich rede noch ein paar Minuten mit Marco und begleite ihn in seine Klasse. Als ich zurückkomme, spielt Zero mit seinem Handy und beachtet mich nicht. Mal was Neues. Sein Block ist zugeklappt, ich kann nicht sehen, was er gezeichnet hat. Bestimmt nicht mich – wie komme ich überhaupt darauf? Ich bin kurz davor, ihn zu fragen, ob er auch auf die Party kommt, doch dann entscheide ich mich für die totale Gleichgültigkeit, und als es klingelt, stürze ich hinaus, bevor ich Mist bauen kann.
Auf dem zweiten Treppenabsatz bereue ich es schon: Fragen hätte nichts gekostet. Eine Abfuhr habe ich bereits kassiert, eine zweite hätte mich auch nicht umgebracht. Ich schaue mich um, doch er ist nicht zu sehen. Ich zögere einen Moment, dann lasse ich mich vom Pulk nach draußen spülen.
26. November
Am Anfang läuft alles wie erwartet: Erst der Aperitif
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