Der Regen in deinem Zimmer - Roman
und redete mir ein, es sei allein deine Schuld, dass mein Vater nicht bei uns geblieben war. Wie sollte man es mit einer wie dir auch aushalten? Wenn meine Freundinnen wieder weg waren, stritten wir uns und du quittiertest meine Vorhaltungen mit einem verächtlichen Schnauben, als wäre ich der langweiligste Mensch der Welt. Was hab ich denn getan, sagtest du immer wieder, was hast du denn?, und je saurer ich wurde, desto mehr stellte deine Gelassenheit mich bloß. In den Tagen, die diesen Streits folgten, durftest du mich nicht einmal fragen, wie es in der Schule war. Aber wirklich beleidigt warst du nie. Selbst wenn das Vaterthema aufkam und ich dir meine geballten Blödheiten an den Kopf warf, hieltest du nicht dagegen, sondern zogst dich schweigend in dich selbst zurück. Einen Moment lang verlorst du dich in schmerzlichen, fernen Erinnerungen, zu denen ich niemals durchdringen würde, doch dann gewann deine bessere Seite wieder die Oberhand. Der Zorn erlag deiner Sanftmut und Heiterkeit, und du warst wieder wie immer, ein bisschen chaotisch und unfassbar liebevoll.
Hätte ich eine wie dich in meinem Alter getroffen, wäre sie meine beste Freundin geworden. Ganz bestimmt. Und bestimmt wäre ich mit ihr nachsichtiger gewesen.
Ich mochte deine Heiterkeit, auch wenn ich mich manchmal dagegen wehrte und so tat, als fände ich sie unsinnig und daneben. Meine Wut kam mir tiefgründig und berechtigt vor.
Wie sehr mir diese Heiterkeit jetzt fehlt. Genau wie die Freundin, die ich nie gefunden habe.
17. November
Trotz dem, was gestern passiert ist, habe ich beschlossen, dass Gabriele mich nicht interessiert. Allerdings habe ich mir heute eine enge Jeans und einen lila Pulli angezogen, der mir knapp über den Bauchnabel reicht. Es ist das erste Mal seit langem, dass ich beim Anziehen in den Spiegel sehe. Ich habe mich nie sonderlich sexy gefunden, aber die langen Haare und das Schwimmtraining machen sich ganz gut zusammen.
Als Gabriele kommt, hocke ich über einem Geschichtsbuch und löse die Aufgaben am Ende der Seite. Vorsichtig lächelnd sehe ich auf und grüße ihn leise, damit die anderen es nicht mitkriegen. Er setzt sich quer auf den Stuhl, mit dem Rücken zu mir, und benimmt sich genauso wie jeden Morgen. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, stellt er den Rucksack ab und kramt den üblichen Notizblock hervor. Das Lächeln erstirbt mir auf den Lippen, und ich werde knallrot. Ich habe zwar nur geflüstert, aber er muss es trotzdem gehört haben. Mit einem Mal fühle ich mich elend und lächerlich wie noch nie und frage mich, ob das gestern wirklich er war. Nach der ersten brennenden Enttäuschung werde ich so wütend, dass ich ihm am liebsten ins Gesicht brüllen würde, was für ein Arschloch er ist. Den halben Vormittag brüte ich darauf herum und kriege nichts vom Unterricht mit. Ich hasse es, dermaßen blöd dazustehen; das wird er büßen.
Statt rauszugehen, bleibt er in der Pause einfach sitzen. Ich mache es ebenso und warte auf wer weiß was. Irgendwannkommt Pietro, der Sohn eines der reichsten Anwälte der Stadt zu unserem Tisch und bleibt genau vor mir stehen. Laut und deutlich, damit Gabriele ihn nicht überhören kann, lädt er mich für morgen Abend zu seiner Party ein: eine Megaparty in seiner Megavilla. Ich kann mir schon vorstellen, was das für ein Abend wird, aber weil ich dem Großen Zero eins auswischen will, sage ich: »Okay, danke für die Einladung«, und stammle irgendwas, das weder ja noch nein ist. Ich habe nicht die geringste Lust hinzugehen, aber auf keinen Fall will ich dem Caravaggio neben mir die Genugtuung verschaffen, ich sei eine arme Sau, die keiner mit dem Hintern anguckt. Doch er zeichnet seelenruhig weiter. Am liebsten würde ich mir seinen Allzweck-Block schnappen und aus dem Fenster schleudern. Doch so viel Aufmerksamkeit hat er nicht verdient.
Als der Morgen vorbei ist, stopfe ich mein Zeug in den Rucksack und ziehe grimmig und enttäuscht ab. Wieso habe ich eigentlich geglaubt, heute würde es anders sein? Was habe ich denn erwartet von einem, den alle Zero nennen? Ich bin echt so blöd, so verdammt blöd.
Aufzählung der Dinge in deinem Zimmer
Nach Hause zu kommen ist immer das Schwerste. Alles ist so still und ordentlich, als wäre die Zeit an jenem Tag stehengeblieben. Die Tür zu deinem Zimmer ist stets geschlossen. Rosa ist die Einzige, die hineingeht, um zu lüften. Nein, das stimmt nicht. Ich tue es auch manchmal.
Dein Morgenmantel hängt noch hinter der
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