Der Regen in deinem Zimmer - Roman
Tür, und unter dem Bett stehen deine alten Birkenstock. Im Schrank sind sämtliche Kleider bis auf eines: Ein hellblaues Seidenkleid mit gleichfarbiger Jacke. Du nanntest es dein Armani-Kostüm, auch wenn es keines war, und es stand dir großartig. Das ist nicht mehr da. Es sei dein Lieblingskleid, hattest du mir ein paar Wochen vor deinem Tod gesagt: »Das ist das schönste Kleid, das ich habe.« Ich kann mich zwar noch an die Worte erinnern, aber nicht an deine Stimme, und werde nie erfahren, ob du es nur so sagtest oder dabei an deinen Tod dachtest. Es war jedenfalls schrecklich, und ich musste wegsehen, um die Tränen vor dir zu verbergen, die ich einfach nicht unterdrücken konnte.
Rechts unten im Schrank steht deine Tasche mit all deinen Sachen darin: Portemonnaie, Terminkalender, mehrere Notizbücher, Stifte und alles andere. Das Handy natürlich. Alles ist noch da in der Tasche, wie beim letzten Mal, als du sie mit ins Krankenhaus nahmst. Danach wurde die Therapie eingestellt, wir brauchten nicht wiederzukommen, hieß es, für das, was noch getan werden könne, reiche eine Pflegerin aus. Viel wardas nicht mehr: nur Warten. Danach hast du die Tasche nicht mehr benutzt. Manchmal greife ich hinein und berühre die Dinge darin, weil ich denke, dass ihnen noch etwas von dir anhaftet. Einmal habe ich auf deinem Handy angerufen und mir vorgestellt, wie du sagst: Hier ist Mama, Alessandra, wo bist du?
Neben der Tasche steht eine halbleere Parfumflasche. Ein Geschenk von mir, du mochtest es wahnsinnig gern. Deine Pullis riechen danach. Auf dem Nachttisch liegen die letzten Bücher, die ich für dich gekauft habe. Du hast sie nicht zu Ende gelesen. An der Kommode lehnt dein Gehstock. Ich setze mich oft in einen der Sessel am Fußende des Bettes und stelle mir vor, du schliefest. Dann sitze ich da und weiß nicht, was ich denken soll. Ich fühle mich wie dein Morgenmantel, deine Tasche, deine Schuhe.
Abgelegt von deiner Liebe.
21. November
Ich liebe den Winter, diese städtische Kälte voller Nebel und Regen, die mich schützend umfängt, aber das kann ich keinem sagen. Nur wer eine gesunde Liebe für Wärme, Sommer und Sandalen hegt, ist ausgeglichen, alle anderen müssen depressiv sein.
Inzwischen verbringe ich meine Nachmittage allein, und mir fehlt niemand. Righi lässt mich weiterhin die trostreiche Seite unserer frostigen Zweisamkeit in den öden Weiten Zerolandias spüren.
Im Ernst, ich glaube, meine Klassenkameraden hatten recht, Zero tickt nicht richtig und an manchen Tagen scheint er wirklich von einem anderen Stern zu sein: Zerolandia eben, wo Worte seit jeher verboten sind. Der Rest der Klasse redet dafür heute umso mehr, weil bald die alljährliche Party im Mouse steigt. In der Kneipe hängen sonst nur die ganz harten Drogis ab, aber zur Party ist sie dann plötzlich hip, und wer nicht hingeht, hat verschissen. Die Leute aus der Dreizehn, also wir, mieten das Lokal und kümmern sich um die Eintrittskarten, die an die halbe Stadt verscherbelt werden. Das Ergebnis ist ein Inferno aus zuckenden Leibern, krachlauter Musik und Leuten, die pennend in der Ecke liegen, auf den Toiletten vögeln oder in den schummrigsten Winkeln der Kneipe ins Koma fallen. Der Brauch will es, dass jedes Mädchen von einem Jungen begleitet wird, und so geht eine Woche vorher eine Männertreibjagd los, die die Gerüchteküche brodeln lässt unddie unmöglichsten Pärchen hervorbringt: Weniger als die Hälfte überlebt den Abend, zwanzig Prozent bringen es auf einen Monat, und bescheidene fünf Prozent etablieren sich als ernsthafte Beziehung. Letztes Jahr bin ich nicht hingegangen, weil ich bei meiner Mutter sein wollte, aber dieses Jahr habe ich beschlossen, es um nichts in der Welt zu verpassen. Klingt blöd, ist aber so. Ich hab Lust, mir einen anzulachen, mich aufzubrezeln, mich abholen zu lassen, ein bisschen auf den Putz zu hauen und wer weiß was noch (ich meine natürlich Sex, Drogen kommen nicht in die Tüte).
Ich lasse die in Frage kommende männliche Fauna an meinem inneren Auge vorbeiziehen, doch die einzigen Jungs, die mir einfallen, sind zugleich die unmöglichsten. Zuerst Roberto. 13 A, drahtig und blond, Typ Hitlerjugend, gut erzogen, ruhig, trägt ausschließlich Kaschmirpullis, raucht nicht, trinkt nicht, spricht ganz leise. Fazit: mit so einem steht man im Labor und seziert Frösche. Dann ist da Luca. 13 B, normal gebaut, nicht besonders groß, Augen und Haare braun, immer zur Stelle, nett, aber nervig,
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