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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Knüffe, Stimmen, Musik, Pissegestank vor den Toiletten und dann plötzlich Leere und frische Luft. Ich raffe mich auf, hebe den Kopf und sehe geradewegs in die Augen von Gabriele Righi, der mich fragt, wo ich den Roller gelassen habe. Könnte man sterben, wann man wollte, wäre ich jetzt tot. Mein Kopf kippt nach vorn, ich muss fast heulen, doch dann sehe ich wieder zu ihm auf. »Was macht Null plus Null? Ich bin heute Abend eine noch größere Null als du.« Tränen steigen mir in die Augen, die ich nicht zurückhalten kann.Was für eine Scheißfrage. Offenbar ist er so beleidigt, dass er gar nicht antwortet, vielleicht lässt er mich einfach hier stehen. Während ich noch laut herumlalle, kommt Gabrieles Gesicht ganz dicht an meines heran und fragt mich noch einmal, wo ich den Roller geparkt habe. Seine Stimme ist ruhig und freundlich. Also ist er nicht beleidigt und lässt mich hier stehen: Noch ist nicht alles verloren.
    Ich versuche mich an die einzelnen Stationen dieses Abends zu erinnern und deute Richtung Parkplatz jenseits der Straße. »Ich kann nicht fahren.« – »Ich fahre«, sagt er gelassen. »Wenn meine Großmutter mich so sieht, trifft sie der Schlag«, nuschele ich. »Na gut, dann bringe ich dich nicht sofort nach Hause und wir drehen noch eine Runde. Warte hier und rühr dich nicht vom Fleck.« Er lehnt mich an ein Auto und geht rasch davon. Mich rühren?, denke ich. Wie denn? Ich könnte allenfalls noch im Erdboden versinken.
    Ich sehe zum Himmel auf: Er ist schwarz und voller Sterne. Ich blinzele: Ist es wahr, dass du tot bist?
    Nach einer schier endlosen Weile kehrt Gabriele mit etwas Blauem zurück, das aussieht wie meine Jacke, und hilft mir hinein. Wie er die gefunden hat, ist mir ein Rätsel. Wie eine Puppe lasse ich mich anziehen, lege den Kopf an seine Brust und hebe schlaff die Arme. Automatisch fische ich den Zündschlüssel aus der Jackentasche und halte ihn ihm hin. Das Aufjaulen des Motors durchbohrt meinen Schädel. Schweigend sitzt er auf dem Roller und wartet, dass ich aufsteige. Wohin fahren wir? Ich weiß es nicht und frage auch nicht. Ich sehe ihn kurz an, halte mich an seinem Arm fest und steige auf. Ich umschlinge ihn fest, lege den Kopf an seinen Rücken und kauere mich zusammen. Ohne Helm brausen wir dahin, ich höreden Motor knattern, die kalte Luft fährt mir übers Gesicht und die jeansbedeckten Beine. Ich halte die Augen geschlossen, mein Kopf dreht sich. Keine Ahnung, wie lange wir herumfahren, erst nach einer Weile lässt mich ein herber, vertrauter Geruch sie wieder öffnen. Rechts von mir ist das Meer, die weiße Gischt taucht auf und verschwindet und säumt eine endlose schwarze Fläche. Im Himmel über uns hängen jetzt große, bleierne Wolken. Es sieht nach Regen aus, doch das ist mir egal. Wieder schließe ich die Augen und schmiege mich noch enger an Gabriele. Zwei Nullen fliehen durch Nacht und Unendlichkeit, und auch wir sind der Saum von etwas, das mit der Finsternis verschmilzt.
    Ich bin gerettet, denke ich, mir kann nichts mehr passieren. Wie damals als Kind, wenn ich Ohrenschmerzen hatte und meine Mutter mich zu sich ins Bett holte. Sie legte den Arm um meine Schultern, bettete meinen Kopf auf ihre Brust und las ein Buch. Ich spürte die warmen Tropfen im watteverstopften Ohr, hörte ihren Atem und das gelegentliche Rascheln der Seiten, während die Lampe ihr sanftes Licht auf die Bettdecke warf. Die Welt war in Ordnung, der Schmerz unter Kontrolle, meine Mutter die uralte Eiche auf dem Hügel, ich der warme Kern des Winters, vom mächtigsten aller Schilde geschützt.
    Mein Kopf schwirrt vor wirren Gedanken, ich bin völlig benommen und gerädert, doch wünschte ich, diese Fahrt würde nie zu Ende gehen. Plötzlich wird der Roller langsamer und Gabrieles Stimme übertönt das Geknatter: »Geht’s besser?« Ich nicke, das Gesicht in seine Jacke vergraben und halb unterm Haar versteckt. »Ja oder nein?«, fragt er noch einmal. »Ja«, schreie ich. »Ich bring dich nach Hause«, sagt er, wendet und fährt zurück Richtung Stadt.
    Wie weit ist es bis Zerolandia? Lass uns abhauen, Gabriele, lass uns Zerolandia finden. Ich schwöre, dass ich dich nie wieder ansprechen werde.
    Als ich zu Hause ankomme, blicke ich zur Terrasse hinauf und sehe meine Großmutter gerade wieder hineingehen. Langsam steige ich ab und versuche mich so gut wie möglich wieder in Ordnung zu bringen. »Wie sehe ich aus?«, frage ich und drehe mich zu ihm hin. »Okay«, antwortet er,

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