Der Regen in deinem Zimmer - Roman
angestarrt werden.
Wir sitzen einander gegenüber und tun so, als würden uns die Leute an den Nachbartischen brennend interessieren. Hin und wieder werfen wir einander verstohlene Blicke zu und glauben, der andere würde es nicht bemerken. Die Unterhaltung beschränkt sich auf ein absolutes Minimum. Plötzlich schwant mir, dass ich ihn, von der netten Hilfsaktion abgesehen, vielleicht total blöd finden könnte. Und wenn die anderen am Ende recht hätten? Für einen verkappten Kriminellen halte ich ihn zwar nicht, sonst hätte er sich wohl kaum die Mühe gemacht, mir zu helfen. Zu gern würde ich ihn nach dem Grund fragen, aber um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen, lasse ich’s bleiben. Stattdessen fange ich an, von der Schule zu reden, von Lehrernund Dingen, die nicht einmal mich interessieren, aber irgendwie muss ich mich aus diesem Schweigen retten, das den Lärm um uns herum übertönt. Beim Reden sehe ich ihn an, doch er starrt auf den Fernseher. Er fühlt sich genauso unwohl wie ich, auch wenn ich alles dransetze, es zu überspielen. Schließlich frage ich ihn, mit wem er gestern Abend ins Mouse gekommen ist. »Mit einem Freund«, antwortet er achselzuckend und sagt, er sei nur da gewesen, weil sein Freund plötzlich doch noch hätte hingehen wollen. »Danke, dass du mir geholfen hast.« Er sieht mich stumm an, dann blickt er sich suchend um. »Gibt’s denn hier keine Kellner?« Ich sehe ihn an und denke, dass er vielleicht doch nicht so einfühlsam ist und eher gelangweilt als verlegen. Vielleicht hat er mir nur geholfen, weil er meinen Anblick nicht ertragen konnte, und ich bin ihm völlig schnuppe. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll. Am liebsten würde ich im Erdboden verschwinden. Dieser Vorstoß von mir war mal wieder eine totale Schwachsinnsaktion. Einen Moment lang wünsche ich mir, der Kellner käme zu uns an den Tisch und sagte, diese Plätze seien reserviert und Pizzen gebe es hier auch nicht, nur sauteuren Fisch und Champagner. Stattdessen kommt eine Kellnerin angehetzt und nimmt unsere Bestellung auf. Nach einem kurzen Panikanflug versuche ich das Gespräch so gut es geht am Laufen zu halten. Ich frage ihn, wo er wohnt, was er an den Wochenenden treibt, ob es was gibt, das er besonders gern tut, und komme mir vor wie eine Sozialarbeiterin, die sich mal wieder mit einem hoffnungslosen Fall herumschlägt. Ich wünschte, er würde mir etwas über sein Faible fürs Zeichnen erzählen, doch er antwortet nur einsilbig und lässt sich jedes Wort aus der Nase ziehen. Er sagt, er wohne im Hochhausviertel, aber nur, wenn sein Vater nicht da sei, sonst habeer ein Zimmer bei einem gewissen Petrit, einem albanischen Freund von ihm, der ihm hin und wieder kleine Jobs verschaffe. Bevor ich Dinge höre, die ich nicht hören will, frage ich ihn lieber nicht, was für Jobs das sind. Jetzt mustert er mich, um meine Reaktion zu testen, und ich versuche, gelassen zu bleiben. Er sagt, das Wochenende sei für ihn wie jeder andere Wochentag, er lungere ein bisschen mit seinen Freunden rum, nichts Besonderes. »Leute aus der Schule?«, frage ich. Er fängt an zu lachen und schüttelt den Kopf. »Nie.« Er sieht mich belustigt an. »Wieso sagst du das so?« Ich muss auch lachen. »Meine Freunde gehen nicht zur Schule, die arbeiten.« – »Und was arbeiten die?« – »In der Fabrik, auf dem Bau, solche Sachen«, antwortet er schulterzuckend und sieht weg. »Und was würdest du gerne machen?« – »Keine Ahnung, Maurer ist okay.« – »Und das Zeichnen?«, frage ich ernüchtert. »Was ist damit? Dürfen Maurer etwa nicht zeichnen?« Ich will gerade etwas erwidern, als die Pizzen kommen und die Unterhaltung erstirbt. Ich bin mit Caravaggio gekommen und werde mit Gabriele dem Maurer gehen. Ich habe mich tatsächlich geirrt, meine Mitschüler haben recht: Ich habe mir alles nur eingebildet, es gibt keinen Künstler. Ich muss heute Nacht wirklich stinkbesoffen gewesen sein.
Abgesehen von ein paar Bemerkungen zur Pizza und zum Radau, den die Kinder am Nachbartisch veranstalten, essen wir stumm vor uns hin. Kaum sind wir fertig, gehe ich zur Kasse und zahle, und endlich ist der Albtraum vorüber. Er bedankt sich und ich bedanke mich ebenfalls. Es ist, als wären wir uns fremder denn je. Nach Monaten des Schweigens über eine Stunde lang wie normale Menschen zusammenzusitzen war entschieden zu viel. Er scheint es ebenfalls kaum abwarten zu können, sich aus dem Staub zu machen. Vielleicht ister auch von mir
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