Der Regenmacher
Sache von Tagen, bis wir unsere kleine Suite aus Büros aufgeteilt und unsere eigenen Bereiche abgesteckt hatten. Deck findet, ich sollte den größten Teil des Tages damit verbringen, mich auf den unzähligen Gerichtsfluren herumzutreiben und nach Mandanten Ausschau zu halten. Ich spüre seine Frustration darüber, daß ich nicht aggressiver bin. Er hat meine Fragen nach Ethik und Taktik satt. Das da draußen ist eine harte und rücksichtslose Welt mit Unmengen von hungrigen Anwälten, die sich mit der Halsabschneiderei bestens auskennen. Wenn Sie sich hier den ganzen Tag den Hintern platt sitzen, werden Sie verhungern. Die guten Fälle kommen nicht von alleine ins Haus.
Andererseits ist Deck auf mich angewiesen. Ich habe eine Anwaltslizenz. Wir mögen das Geld teilen, aber dies ist keine Partnerschaft unter Gleichrangigen. Er betrachtet sich als entbehrlich, und deshalb übernimmt er freiwillig die Knochenarbeit. Deck ist stets bereit, sich an Unfallopfer heranzumachen und sich auf den Fluren der Gerichte und in den Notaufnahmen der Krankenhäuser herumzutreiben, weil er zufrieden ist mit einem Arrangement, das ihm fünfzig Prozent zugesteht. Einen besseren Handel kann er nirgends abschließen.
Es braucht nur einen Fall, sagt er immer und immer wieder. Das hört man in diesem Geschäft ständig. Ein großer Fall, und man kann sich zur Ruhe setzen. Das ist einer der Gründe dafür, daß Anwälte so viele schäbige Dinge veranstalten wie große Farbannoncen in den Gelben Seiten und Plakate auf Wänden und in den städtischen Bussen und Kundenwerbung am Telefon. Man hält die Nase hoch, ignoriert den Gestank dessen, was man tut, und ignoriert die Verachtung und den Snobismus der Anwälte aus den großen Kanzleien, weil es doch nur diesen einen Fall braucht.
Deck ist entschlossen, für unsere kleine Kanzlei den ganz großen Fall zu finden.
Während er unterwegs ist und Memphis unsicher macht, schaffe ich es immerhin, mich beschäftigt zu halten. An den Stadtgrenzen von Memphis gibt es fünf kleine, eingemeindete Ortschaften. Jede von ihnen hat ein eigenes Gericht, das bei minderen Delikten junge Anwälte als Pflichtverteidiger einsetzt, wenn die Beklagten sich keinen Rechtsbeistand leisten können. Die Richter und die Vertreter der Anklage sind jung und arbeiten stundenweise, die meisten haben an der Memphis State studiert und arbeiten für weniger als fünfhundert Dollar im Monat. Sie haben aufstrebende Kanzleien in den Vororten und verbringen jede Woche ein paar Stunden damit, ein bißchen Recht und Gesetz unter die Leute zu bringen. Ich habe diese Typen aufgesucht, mich mit ihnen unterhalten, ihnen Honig um den Bart geschmiert und ihnen erklärt, daß ich ein bißchen Arbeit an ihren Gerichten brauche. Die Ergebnisse waren gemischt. Man hat mir die Vertretung von sechs mittellosen Beklagten übertragen, die aller möglichen Vergehen bezichtigt werden, von Drogenbesitz über leichten Diebstahl bis hin zu Erregung öffentlichen Ärgernisses. Für jeden Fall bekomme ich maximal hundert Dollar, und sie sollten innerhalb von zwei Monaten erledigt sein. Wenn ich mich mit den Mandanten treffe, mich mit ihnen über ihre Schuld oder Unschuld unterhalte, mit den Vertretern der Anklage spreche und zu den Verhandlungen vor Gericht in einen der Vororte fahre, verbringe ich mindestens vier Stunden mit jedem Fall. Das sind fünfundzwanzig Dollar pro Stunde, vor Abzug von Unkosten und Steuern.
Aber zumindest hält es mich beschäftigt und bringt etwas ein. Ich lerne Leute kennen, überreiche meine Karte, bitte meine neuen Mandanten, ihren Freunden zu erzählen, daß ich, Rudy Baylor, ihre sämtlichen juristischen Probleme lösen kann. Mir schaudert bei dem Gedanken, was für Probleme diese Freunde haben könnten. Es kann nur noch elender sein. Scheidung, Bankrott, noch mehr kriminelle Vergehen. Das Leben eines Anwalts.
Deck möchte inserieren, sobald wir es uns leisten können, er meint, wir sollten uns zu Experten für Körperverletzungsfälle erklären und frühmorgens Spots im Kabelfernsehen senden lassen, damit wir die arbeitende Klasse beim Frühstück erreichen, bevor die Leute zur Arbeit gehen, um sich verstümmeln zu lassen. Er hat sich auch einen Sender angehört, der schwarzen Rap bringt, nicht etwa, weil er diese Musik liebt, sondern weil der Sender sehr beliebt ist und, erstaunlicherweise, von den Anwälten noch nicht entdeckt wurde. Er hat eine Nische gefunden. Die Rap-Anwälte!
Gott steh uns bei.
Ich treibe
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