Der Regenmacher
Broadnax and Speer mir geboten haben.
»Ich hasse das Jurastudium«, sage ich, als wir vom Parkplatz des Cypress Gardens Senior Citizens Building herunterfahren.
»Daran ist nichts Ungewöhnliches«, erwidert Booker. Booker haßt nichts und niemanden, und manchmal behauptet er sogar, das Jurastudium wäre für ihn eine Herausforderung.
»Warum wollen wir Anwälte werden?«
»Um der Öffentlichkeit zu dienen, gegen Ungerechtigkeit anzukämpfen, die Gesellschaft zu verändern, du weißt schon, das Übliche. Hörst du Professor Smoot nicht zu?« »Laß uns ein Bier trinken.«
»Es ist noch nicht einmal drei Uhr, Rudy.« Booker trinkt wenig, und ich trinke noch weniger, weil es eine kostspielige Angewohnheit ist, und im Augenblick muß ich sparen, damit ich mir etwas zu essen kaufen kann.
»War nur ein Scherz«, sage ich. Er fährt in Richtung Juristische Fakultät. Heute ist Donnerstag, was bedeutet, daß ich mich morgen mit Sportrecht und dem Code Napoleon herumschlagen muß, zwei Seminaren, die ebenso wertlos sind wie Gruftirecht und sogar noch weniger Arbeit erfordern. Aber auf mich wartet ein Anwaltsexamen, und wenn ich daran denke, zittern mir die Hände. Wenn ich beim Examen durchfalle, dann werden mich diese netten, aber steifen und todernsten Typen bei Broadnax and Speer bestimmt entlassen, was bedeutet, daß ich ungefähr einen Monat arbeiten werde und dann auf der Straße stehe. Beim Anwaltsexamen durchzufallen ist unausdenkbar – die Folge wären Arbeitslosigkeit, Bankrott, Schande, Verhungern. Also weshalb denke ich jede Stunde des Tages daran? »Setz mich bei der Bibliothek ab«, sage ich. »Ich denke, ich werde mich mit diesen Fällen beschäftigen und dann fürs Examen büffeln.«
»Gute Idee.«
»Ich hasse die Bibliothek.«
»Alle hassen die Bibliothek, Rudy. Sie ist so angelegt, daß man sie hassen muß. Ihr Hauptzweck besteht darin, daß sie von Jurastudenten gehaßt wird. Du bist völlig normal.«
»Danke.«
»Diese erste alte Dame, Miss Birdie, die hat Geld?«
»Woher weißt du das?«
»Mir war, als hörte ich so etwas.«
»Ja. Sie schwimmt im Geld. Sie braucht ein neues Testament. Ihre Kinder und Enkel kümmern sich nicht um sie, deshalb will sie sie natürlich streichen.«
»Wieviel?«
»An die zwanzig Millionen.«
Booker mustert mich überaus argwöhnisch.
»Das behauptet sie jedenfalls«, setze ich hinzu.
»Und wer soll das Geld bekommen?« »Ein Fernsehprediger mit viel Sex-Appeal und eigenem Learjet.«
»Nein!«
»Doch.«
Booker versucht das zu verdauen, während er den Wagen zwei Blocks durch dichten Verkehr steuert. »Hör mal, Rudy, nimm es mir nicht übel, du bist ein netter Kerl, ein guter Student, intelligent, aber ist dir wohl bei dem Gedanken, ein Testament für eine derart große Hinterlassenschaft aufzusetzen?«
»Nein. Wäre dir etwa wohl dabei?«
»Natürlich nicht. Also, was wirst du tun?«
»Vielleicht stirbt sie im Schlaf.«
»Das glaube ich nicht. Dazu ist sie zu munter. Sie wird uns überleben.«
»Ich werde es bei Smoot abladen. Vielleicht einen der Steuerprofessoren bitten, mir zu helfen. Vielleicht sage ich Miss Birdie auch einfach, daß ich ihr nicht helfen kann, daß sie einem hochkarätigen Steueranwalt fünf Mille zahlen muß, damit er es aufsetzt. Im Grunde ist es mir völlig egal. Ich habe meine eigenen Probleme.«
»Texaco?«
»Ja. Sie sind hinter mir her. Mein Vermieter auch.«
»Ich wollte, ich könnte dir helfen«, sagt Booker, und ich weiß, daß er es ehrlich meint. Wenn er das Geld erübrigen könnte, würde er es mir mit Freuden leihen.
»Ich werde bis zum 1. Juli überleben. Dann bin ich ein großartiges Sprachrohr für Broadnax and Speer, und die Tage meiner Armut sind vorüber. Wie in aller Welt, Booker, soll ich es nur schaffen, vierunddreißigtausend Dollar im Jahr auszugeben?«
»Hört sich unmöglich an. Du wirst reich sein.«
»Ich meine, ich habe sieben Jahre lang praktisch nur von Trinkgeldern gelebt. Was soll ich bloß mit dem vielen Geld anfangen?«
»Dir einen Anzug kaufen?«
»Weshalb? Ich habe doch schon zwei.«
»Vielleicht ein Paar Schuhe?«
»Das ist es. Genau das werde ich tun, Booker. Schuhe kaufen und Krawatten, und vielleicht etwas zu essen, das nicht in einer Dose steckt. Und vielleicht eine neue Packung Unterhosen.«
In den letzten drei Jahren haben mich Booker und seine Frau mindestens zweimal im Monat zum Essen eingeladen. Sie heißt Charlene, stammt aus Memphis und vollbringt trotz des knappen
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