Der Regenmacher
Mandanten. Er verzieht sich.
»Wir sehen uns in zwei Wochen wieder«, sage ich herzlich mit einem falschen Lächeln.
Dot drückt ihre Zigarette im Aschenbecher aus und beugt sich wieder näher an mich heran. Ihre Lippen beben plötzlich, und ihre Augen sind feucht. Sie berührt sanft mein Handgelenk und sieht mich hilflos an. »Bitte beeilen Sie sich, Rudy. Wir brauchen Hilfe. Unser Junge stirbt.«
Wir schauen uns eine Ewigkeit an, und schließlich nicke ich und murmele etwas. Diese armen Leute haben das Leben ihres Sohnes in meine Hände gelegt, in die eines Jurastudenten im dritten Jahr an der Memphis State. Sie glauben allen Ernstes, daß ich diesen Packen Papier, den sie mir zugeschoben haben, an mich nehme, nach dem Telefonhörer greife und ein paar Anrufe mache, ein paar Briefe schreibe, so mir nichts, dir nichts mit dem und jenem drohe, und Abrakadabra! geht Great Benefit in die Knie und spuckt Geld für Donny Ray aus. Und sie erwarten außerdem, daß das schnell passiert.
Sie stehen auf und entfernen sich verlegen von meinem Tisch. Ich bin fast sicher, daß irgendwo in dieser Police ein perfekter kleiner Ausschluß steht, fast unleserlich und vermutlich kaum zu entziffern, aber dennoch hineinmanövriert von gerissenen juristischen Handwerkern, die seit Jahrzehnten fette Honorare kassiert und begeistert Kleingedrucktes verfaßt haben.
Mit Buddy im Schlepptau bahnt sich Dot ihren Weg zwischen Klappstühlen und Rook-Spielern hindurch und bleibt bei der Kaffeekanne stehen, wo sie einen Pappbecher mit koffeinfreiem Kaffee füllt und sich eine weitere Zigarette anzündet. Dann stehen sie im hinteren Teil des Raumes und mustern mich aus einer Entfernung von knapp zwanzig Metern. Ich blättere in der Police, dreißig Seiten von kaum lesbarem Kleingedrucktem, und mache mir Notizen. Ich versuche, sie zu ignorieren.
Der Saal ist leerer geworden, und die Leute brechen langsam auf. Ich habe das Anwaltsein erst mal satt, für einen Tag reicht es mir völlig, und ich hoffe, daß nicht noch mehr Mandanten kommen. Meine Unwissenheit in Gesetzesdingen ist bestürzend, und mich schaudert bei dem Gedanken, daß ich schon in ein paar Monaten in den Gerichtssälen dieser Stadt stehen und mit anderen Anwälten vor Richtern und Geschworenen plädieren soll. Ich bin noch nicht soweit, um irgendwelche Klagen zu führen und damit auf die Gesellschaft losgelassen zu werden.
Das Jurastudium ist nichts als drei Jahre sinnloser Streß. Wir verbringen ungezählte Stunden damit, Informationen auszugraben, die wir nie brauchen werden. Wir werden mit Vorlesungen bombardiert, die wir sofort wieder vergessen. Wir memorieren Fälle und Gesetze, die morgen außer Kraft gesetzt oder geändert werden. Wenn ich in den vergangenen drei Jahren fünfzig Stunden pro Woche als Anlernling bei einem guten Anwalt gearbeitet hätte, dann wäre ich jetzt selbst ein guter Anwalt. Statt dessen bin ich ein nervöser Student im dritten Studienjahr, der Angst hat vor den simpelsten juristischen Problemen und noch mehr Angst vor dem bevorstehenden Anwaltsexamen.
Vor mir bewegt sich etwas, und ich schaue gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie ein dicklicher alter Bursche mit einem mächtigen Hörgerät auf mich zuschlurft.
2
Eine Stunde später ist Schluß mit dem trägen Hickhack über Chinesischer Dame und Gin Romme, und die letzten Gruftis verlassen das Gebäude. Ein Hausmeister wartet an der Tür, während Smoot uns zu einem abschließenden Kriegsrat um sich versammelt. Wir berichten nacheinander kurz über die verschiedenen Probleme unserer neuen Mandanten. Wir sind müde und möchten so schnell wie möglich von hier verschwinden.
Smoot macht ein paar Vorschläge, nichts Kreatives oder Originelles, und entläßt uns mit dem Versprechen, daß wir im Seminar über die juristischen Probleme der älteren Leute sprechen werden. Ich kann es kaum abwarten.
Booker und ich fahren in seinem Wagen, einem alten Pontiac, zu groß, um elegant zu sein, aber in wesentlich besserem Zustand als mein auseinanderfallender Toyota. Booker hat zwei kleine Kinder und eine Frau, die als Teilzeitlehrerin arbeitet, und deshalb existieren sie knapp oberhalb der Armutsgrenze. Er studiert fleißig und bekommt gute Noten, und deshalb ist eine reiche schwarze Kanzlei in der Innenstadt auf ihn aufmerksam geworden, eine ziemlich noble Firma, die sich mit Bürgerrechtsprozessen einen Namen gemacht hat. Sein Anfangsgehalt beträgt vierzigtausend im Jahr, sechstausend mehr, als
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