Der Regenmacher
nicht mal die High-School abgeschlossen.«
Und was soll ich darauf sagen? Soll ich ihr einen banalen kleinen Vortrag halten – holen Sie Ihren Abschluß nach, besuchen Sie Abendkurse, Sie können es schaffen, wenn Sie es wirklich wollen?
»Arbeiten Sie?« frage ich statt dessen.
»Hin und wieder. Was für eine Art Anwalt wollen Sie werden?«
»Mir macht Prozeßarbeit Spaß. Ich würde gern vor Gericht auftreten.«
»Kriminelle verteidigen?«
»Vielleicht. Sie haben ein Recht auf ihren Tag vor Gericht, und sie haben das Recht auf eine gute Verteidigung.«
»Mörder?«
»Ja, aber die meisten können sich keinen Anwalt leisten.«
»Vergewaltiger und Kindesmißhandler?«
Ich runzle die Stirn und zögere eine Sekunde. »Nein.«
»Männer, die ihre Frauen schlagen?«
»Nein, niemals.« Das ist mein voller Ernst, außerdem bin ich argwöhnisch, was ihre Verletzungen angeht. Sie billigt meine Auswahl an Mandanten.
»Kaum jemand spezialisiert sich ausschließlich auf Strafrecht«, erkläre ich. »Wahrscheinlich werde ich erheblich mehr mit Zivilprozessen zu tun haben.«
»Klagen und solches Zeug.«
»Ja, genau. Prozesse, die nichts mit Strafvergehen zu tun haben.«
»Scheidungen?«
»Das möchte ich lieber vermeiden. Scheidungen sind meist höchst unerfreulich.«
Sie strengt sich mächtig an, die Unterhaltung auf meiner Seite des Tisches zu halten, fern von ihrer Vergangenheit und erst recht von ihrer Gegenwart. Das kann mir nur recht sein. Die Tränen können jederzeit wieder fließen, und ich möchte diese Unterhaltung nicht verderben. Ich möchte, daß sie weitergeht.
Sie will wissen, wie es auf dem College war – das Lernen, Parties, Dinge wie Studentenclubs, das Leben auf dem Campus, Examen, Professoren, Exkursionen. Sie hat eine Menge Filme gesehen und hütet ein verklärtes Bild von märchenhaften vier Jahren auf einem malerischen Campus, wo sich die Blätter im Herbst gelb und rot verfärben, von Studenten in Mannschaftspullovern, die ihrem Footballteam zujubeln, von neuen Freundschaften, die ein Leben lang halten. Das arme Mädchen hat es mit knapper Not geschafft, aus der Kleinstadt herauszukommen, aber es hatte wundervolle Träume. Ihre Grammatik ist einwandfrei, ihr Wortschatz größer als meiner. Sie gesteht zögernd, daß sie die High-School als Erste oder Zweite ihres Jahrgangs abgeschlossen hätte, wäre da nicht diese Teenagerromanze mit Cliff, Mr. Riker, gewesen.
Ohne viel Mühe schmücke ich die grandiosen Tage meiner Zeit am College aus und übergehe so wesentliche Tatsachen wie die vierzig Stunden in der Woche, in denen ich Pizzas ausgeliefert habe, um Student bleiben zu können.
Sie will mehr über meine Kanzlei wissen, und ich stecke gerade mitten in einer absurden Verherrlichung von J. Lyman und seinem Büro, als zwei Tische entfernt das Telefon läutet. Ich entschuldige mich mit der Erklärung, daß ich aus der Kanzlei verlangt werde.
Es ist Bruiser, bei Yogi’s, betrunken, mit Prince. Es amüsiert sie, daß ich da sitze, wo ich sitze, während sie trinken und auf alles wetten, was ESPN gerade sendet. Die Geräusche im Hintergrund hören sich an wie eine Schlägerei. »Schon was an der Angel?« bellt Bruiser ins Telefon.
Ich lächle Kelly an, die von diesem Anruf offensichtlich beeindruckt ist, und erkläre so leise wie nur möglich, daß ich gerade mit einem möglichen Mandanten spreche. Bruiser lacht dröhnend, dann übergibt er den Hörer an Prince, der der Betrunkenere von den beiden ist. Er erzählt einen Anwaltswitz ohne jede Pointe, etwas über das Herfallen über Verletzte. Dann verfällt er in eine Ich-habe-es-Ihnen-ja-gesagt-Rede darüber, daß er mich bei Bruiser untergebracht hat, der mir mehr von der Juristerei beibringen wird als fünfzig Professoren. Das dauert eine Weile, und währenddessen erscheint Kellys Helfer, um sie in ihr Zimmer zurückzubringen.
Ich gehe ein paar Schritte auf ihren Tisch zu, lege die Hand auf die Sprechmuschel und sage: »Ich habe mich gefreut, Sie kennenzulernen.«
Sie lächelt und sagt: »Danke für die Cola und die Unterhaltung.«
»Morgen abend?« sage ich, während Prince mir ins Ohr brüllt.
»Vielleicht.« Sie zwinkert mir vielsagend zu, und meine Knie werden weich.
Offensichtlich ist ihr Begleiter in Rosa lange genug in diesem Krankenhaus, um einen Mandantenjäger zu erkennen. Er wirft mir einen finsteren Blick zu und rollt sie hinaus. Sie wird wiederkommen.
Ich drücke einen Knopf am Telefon und schalte Prince mitten im
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