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Der Regenmacher

Der Regenmacher

Titel: Der Regenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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der Raum voll wäre. Kelly steckt in ihrer eigenen kleinen Welt.
    Sieht aus wie ein gebrochener Knöchel. Dazu die Prellung im Gesicht. Deck würde begeistert eine »multiple Verletzung« konstatieren, obwohl keine Schnittwunden zu sehen sind. Die verbundenen Handgelenke sind mir ein Rätsel. Obwohl sie so hübsch ist, gerate ich nicht in Versuchung, meine Anmachtechniken zu praktizieren. Sie macht einen sehr traurigen Eindruck, und ich will nicht zu ihrem Elend beitragen. An ihrem linken Ringfinger steckt ein dünner Ehering. Sie kann nicht älter als achtzehn sein.
    Ich versuche, mich für mindestens fünf ununterbrochene Minuten auf die Juristerei zu konzentrieren, aber dann sehe ich, wie sie sich die Augen mit einer Papierserviette abtupft. Ihr Kopf kippt leicht nach rechts, während die Tränen fließen. Sie schnüffelt leise.
    Mir wird schnell klar, daß die Tränen nichts mit etwaigen Schmerzen in ihrem gebrochenen Knöchel zu tun haben. Hier geht es nicht um körperliches Leid.
    Meine niederträchtige Anwaltsphantasie geht mit mir durch. Vielleicht hat es einen Verkehrsunfall gegeben, bei dem ihr Mann getötet und sie verletzt worden ist. Sie ist zu jung, um Kinder zu haben, und ihre Eltern wohnen weit fort, und nun sitzt sie hier und trauert um ihren toten Mann. Könnte ein grandioser Fall sein.
    Ich schüttele diese fürchterlichen Gedanken ab und versuche, mich auf das vor mir liegende Buch zu konzentrieren. Sie schnüffelt und weint leise weiter. Ein paar Gäste kommen und gehen, aber keiner setzt sich zu mir oder zu Kelly. Ich trinke meinen Kaffeebecher aus, erhebe mich von meinem Stuhl und gehe auf dem Weg zum Tresen direkt vor ihr vorbei. Ich sehe sie an, sie sieht mich an, unsere Blicke treffen sich für eine lange Sekunde, und ich falle fast über einen Metallstuhl. Meine Hände sind ein bißchen zittrig, als ich für den Kaffee bezahle. Ich hole tief Luft und bleibe an ihrem Tisch stehen.
    Sie hebt langsam die schönen, nassen Augen. Ich schlucke schwer und sage: »Hören Sie, ich will mich nicht aufdrängen, aber kann ich irgend etwas für Sie tun? Haben Sie vielleicht Schmerzen?« sage ich und deute mit einem Kopfnicken auf ihren Gipsverband.
    »Nein«, sagt sie fast unhörbar. Und dann ein hinreißendes kleines Lächeln. »Trotzdem danke.«
    »Okay«, sage ich. Ich schaue auf meinen knapp sechs Meter entfernten lisch. »Ich sitze da drüben und lerne für das Anwaltsexamen, falls Sie etwas brauchen sollten.« Ich zucke die Achseln, als wüßte ich nicht recht, was ich tun soll, aber ich bin eben nur ein netter, besorgter Tölpel, also entschuldigen Sie bitte, wenn ich zu weit gegangen bin. Aber ich sorge mich wirklich um Sie. Und ich stehe zur Verfügung.
    »Danke«, sagt sie noch einmal.
    Ich sinke auf meinen Stuhl, nachdem ich mich als quasi legitime Person ausgewiesen habe, die dicke Bücher durchackert in der Hoffnung, bald einen noblen Beruf ausüben zu können. Bestimmt hat das einen gewissen Eindruck auf sie gemacht. Ich stürze mich, ihr Leid vergessend, wieder in die Arbeit.
    Minuten vergehen. Ich blättere eine Seite um und sehe dabei zu ihr hinüber. Sie sieht mich an, und mein Herz setzt einen Schlag aus. Ich ignoriere sie völlig, solange ich es aushalten kann, dann schaue ich abermals auf. Sie ist wieder tief in ihr Leid versunken. Sie preßt die Serviette zusammen. Die Tränen strömen ihr über die Wangen.
    Mir bricht es das Herz, sie so leiden zu sehen. Ich würde zu gern neben ihr sitzen, vielleicht meinen Arm um sie legen und mit ihr über alles mögliche reden. Wenn sie verheiratet ist, wo zum Teufel steckt dann ihr Mann? Sie schaut in meine Richtung, aber ich glaube nicht, daß sie mich sieht.
    Ihr Helfer in der rosa Jacke erscheint pünktlich um halb elf, und sie versucht rasch, sich wieder zu fassen. Er tätschelt ihr sanft den Kopf, sagt ein paar beruhigende Worte, die ich nicht hören kann, und wendet behutsam ihren Rollstuhl. Im Hinausfahren sieht sie mich ganz bewußt an. Und sie bedenkt mich mit einem langen, tränenvollen Lächeln.
    Ich bin versucht, ihr in einiger Entfernung zu folgen, um herauszufinden, in welchem Zimmer sie liegt, aber ich beherrsche mich. Später denke ich daran, den Mann in Rosa ausfindig zu machen und Einzelheiten aus ihm herauszuholen. Aber ich tue es nicht. Ich versuche, sie zu vergessen. Sie ist ja nur ein Kind.
    Am nächsten Abend gehe ich wieder in die Cafeteria und lasse mich an demselben Tisch nieder. Ich lausche demselben geschäftigen

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