Der Regenmacher
Fahrstuhl sind wir ein paar Sekunden allein. Ich knie mich neben sie. »Sind Sie okay?« frage ich.
Jetzt weint sie nicht mehr. Ihre Augen sind nach wie vor feucht und ein wenig gerötet, aber sie hat sich unter Kontrolle. Sie nickt rasch und sagt: »Danke«. Und dann ergreift sie meine Hand und drückt sie fest. »Vielen Dank.«
Der Fahrstuhl hält mit einem Ruck. Ein Arzt kommt herein, und sie läßt rasch meine Hand los. Ich trete hinter den Rollstuhl wie ein hingebungsvoller Ehemann. Ich möchte wieder ihre Hand halten.
Nach der Uhr an der Wand des fünften Stocks ist es fast elf. Von ein paar Schwestern und Pflegern abgesehen ist der Flur menschenleer und ruhig. Eine Stationsschwester mustert uns, während wir vorbeirollen. Mrs. Riker ist mit einem Mann losgezogen und kommt nun mit einem anderen zurück.
Wir biegen links ab, und sie deutet auf ihre Tür. Zu meiner Überraschung und Freude hat sie ein Privatzimmer mit eigenem Fenster und Bad. Das Licht brennt.
Ich bin nicht sicher, wie gut sie sich in Wirklichkeit bewegen kann, aber in diesem Moment ist sie völlig hilflos. »Sie müssen mir helfen«, sagt sie. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich beuge mich über sie, und sie legt mir die Arme um den Hals. Sie klammert sich wesentlich fester an mich, als erforderlich wäre, aber das stört mich durchaus nicht. Ihr Nachthemd ist mit Cola durchtränkt, und auch das stört mich nicht sonderlich. Sie fühlt sich gut an, und ich stelle rasch fest, daß sie keinen Büstenhalter trägt. Ich drücke sie noch fester an mich.
Ich hebe sie sanft aus dem Rollstuhl, keine große Anstrengung, weil sie nicht mehr wiegt als fünfundfünfzig Kilo, einschließlich Gipsverband. Wir manövrieren uns zu ihrem Bett, lassen uns dabei soviel Zeit wie möglich, machen eine Menge Aufhebens um ihren gebrochenen Knöchel, bringen sie in genau die richtige Stellung, damit ich sie sehr langsam auf ihr Bett gleiten lassen kann. Dann lassen wir einander widerstrebend los. Unsere Gesichter sind nur Zentimeter voneinander entfernt, als die Schwester hereinkommt und ihre Gummisohlen über den gefliesten Boden quietschen.
»Was ist passiert?« fragt sie und deutet auf das nasse Nachthemd.
Wir versuchen immer noch, uns voneinander zu lösen. »Ach, das. Nur ein Mißgeschick«, erklärt Kelly.
Die Schwester öffnet eine Schublade unter dem Fernseher und holt ein zusammengefaltetes Nachthemd heraus. »Sie müssen sich umziehen«, sagt sie und wirft es neben Kelly aufs Bett. »Und Sie müssen gewaschen werden.« Sie hält eine Sekunde inne, deutet mit einem Kopfnicken auf mich und sagt: »Er kann Ihnen ja helfen.«
Ich hole tief Luft. Mir wird schwach.
»Das schaffe ich allein«, sagt Kelly und legt das Nachthemd auf den Tisch neben dem Bett.
»Die Besuchszeit ist vorbei, junger Mann«, sagt sie zu mir.
»Für heute müßt ihr beide euch voneinander verabschieden.« Sie quietscht aus dem Zimmer. Ich mache die Tür zu und kehre zu ihrem Bett zurück. Wir sehen uns an.
»Wo ist der Schwamm?« frage ich, und wir lachen beide. Wenn sie lächelt, bilden sich dicke Grübchen an ihren Mundwinkeln.
»Setzen Sie sich hierher«, sagt sie und klopft auf die Bettkante. Ich lasse mich mit baumelnden Beinen nieder. Wir berühren uns nicht. Sie zieht ein weißes Laken bis zu den Achselhöhlen hoch, als wollte sie die Colaflecken verbergen.
Ich bin vollkommen im Bilde. Auch eine mißhandelte Ehefrau ist die Frau eines anderen, bis sie geschieden ist. Oder bis sie den Mistkerl umbringt.
»Und was halten Sie von Cliff?« fragt sie.
»Sie wollten, daß ich ihn sehe, nicht wahr?«
»Wahrscheinlich.«
»Man sollte ihn erschießen.«
»Das wäre eine ziemlich harte Strafe für einen kleinen Wutanfall.«
Ich schweige einen Moment und schaue woandershin. Ich habe beschlossen, nicht um den heißen Brei herumzureden. Wenn wir schon miteinander reden, dann werden wir auch ehrlich sein.
»Nein, Kelly, sie ist nicht zu hart. Ein Mann, der mit einem Aluminiumschläger auf seine Frau eindrischt, sollte erschossen werden.« Ich beobachte sie genau, während ich das sage, und sie zuckt nicht zusammen.
»Woher wissen Sie das?« fragt sie.
»Läßt sich alles nachlesen. Polizeiberichte, Krankentransportberichte, Krankenhausunterlagen. Wollen Sie warten, bis er Ihnen diesen Schläger über den Kopf zieht? Das könnte Ihr Ende bedeuten. Ein paar kräftige Hiebe auf den Schädel …«
»Hören Sie auf! Sie brauchen mir nicht zu sagen, wie sich das
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