Der Regenmoerder
die Schirmspitze in den Rücken zu stoßen, als die Frau sagte: „Schauen Sie mal, es hat aufgehört zu regnen."
Er blieb verdutzt stehen und blickte hoch. Es stimmte, der Regen hatte aufgehört. Er stand da und wußte nicht, was er tun sollte. Er sah seine Szene vor sich, wie er im Regen stand und seine Mutter beobachtete, die den Fremden küßte, und wie ihm der Regen ins Gesicht peitschte und ihn bis auf die Haut durchnäßte. Und jetzt war auf einmal kein Regen mehr da. Die Frau starrte ihn an. „Ist was?"
Ich brauche den Regen , dachte Alan Simpson. Ohne Regen
kann ich nicht morden.
„Ist Ihnen nicht gut?"
Er zwang sich zu einem Lächeln. „Nein, nein, alles in Ordnung."
Er setzte den Schirm ab, und sie gingen weiter. Er war frustriert und wütend. Er hätte die Frau ja allein weitergehen lassen können, doch das wäre aufgefallen und hätte Verdacht erregt. Also begleitete er sie bis zu ihrer Wohnung.
„Das war wirklich sehr freundlich von Ihnen", sagte die Frau.
„Vielen, vielen Dank."
„Keine Ursache", sagte er.
Die Frau erfuhr niemals, wie nahe sie an diesem Abend dem Tod gewesen war.
8. KAPITEL
Sergeant Sekio Yamada und seine Leute lagen noch bis fünf Uhr morgens im Mayfair-Markt auf der Lauer. Erst als sich auch dann der Würger nicht gezeigt hatte, beschloß Yamada, die Aktion abzubrechen.
„Ihr könnt alle nach Hause gehen", sagte er: „Er kommt nicht mehr."
Er war sehr enttäuscht. Er war sich so sicher gewesen, direkt auf der Spur des Würgers zu sein. Ich habe mich also geirrt, dachte er. Er hatte keine Ahnung, daß der Würger ihn und seine Leute gesehen und erkannt hatte und geflüchtet war. Yamada fuhr nach Hause und schlief sich erst einmal richtig aus, was er dringend nötig hatte. Er träumte von Akiko. Daß sie verheiratet waren und in einer schönen Wohnung lebten. Als er aufwachte, lächelte er noch immer selig. Er rasierte sich, duschte und zog sich an. Er überlegte, wie weit Akiko wohl mit dem modellierten Kopf des Würgers war. Er rief sie an, und sie erkannte seine Stimme sofort. „Hier ist Sergeant Yamada."
„Ja, ich weiß", sagte sie. Es gefiel ihm, daß sie ihn bereits an der Stimme erkannte. Er erkundigte sich, wie weit sie war. „Es ist nicht so leicht, wie ich gedacht hatte", sagte Akiko. Es war nicht leicht für sie, zuzugeben, was mit ihr geschehen war. Der Kopf des Würgers war wie etwas Böses. Jedesmal, wenn sie daran weiterarbeiten wollte, schien er lebendig zu werden. Als sie seine Augen formte, schienen sie sie anzustarren. Als sie seine Lippen modellierte, schienen sie sich abschätzig zu kräuseln. Sie hatte das Gesicht nun schon mehrmals angefangen, aber jedesmal hatte sie dieses Angstgefühl gepackt, und sie hatte das Gesicht sofort wieder zerstört.
Jetzt sagte sie am Telefon nur: „Ich habe ein wenig Schwierigkeiten damit."
„Das tut mir leid zu hören", sagte Sekio. Er hatte darauf gezählt, daß sie ihm das Gesicht des Würgers verfertigte. „Aber keine Sorge", sagte Akiko, „ich kriege ihn schon fertig. Es dauert lediglich ein wenig länger, als ich dachte. Vielleicht bin ich bis morgen soweit."
„Also gut", sagte Sekio Yamada. „Dann komme ich morgen mal vorbei und sehe nach, wie es steht?" „Ja, tun Sie das."
Als Akiko den Hörer auflegte, dachte sie: Ich mag ihn wirklich sehr. Ob ich ihn wohl, wenn dies alles vorbei ist, auch noch wiedersehe?
Sie hoffte es sehr. Sie ging in ihr Atelier und stand mit dem Klumpen Ton in der Hand, mit dem sie weiter an seinem Gesicht arbeiten wollte, nachdenklich vor dem Kopf des Würgers von London. Sie begann zu modellieren. Aber wieder kam sie nicht voran. Ich schaffe es einfach nicht. Jedenfalls jetzt nicht, dachte sie. Ich muß eine Weile weg.
Ich brauche frische Luft. Sie ging durch die Straßen Londons und versuchte, nicht an den Würger zu denken. Sie ging bis zum Piccadilly Circus, wo die ganzen Theater waren. Riesige Neonschriften leuchteten von den Häusern und kündigten die verschiedenen Theaterproduktionen an.
Der Piccadilly Circus ist kein Zirkus, sondern ein sehr geschäftiger und belebter Platz. Akiko vertiefte sich in die Betrachtung der Menschenmenge. Die Theater waren wundervoll. Die besten der Welt, wahrscheinlich. Sie hatte Laurence Olivier auf der Bühne den Hamlet spielen sehen. Und auch Lohn Guildguld und Maurie Evans hatte sie gesehen. Die Engländer sind die besten Schauspieler der Welt , dachte sie. Schon mehrmals hatten ihr Produzenten Rollen in Filmen oder
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