Der Regenmoerder
sah sich auch Alan Simpson als ein Jack the Ripper , einen legendären Verbrecher, der niemals zu fassen sein würde. Eines fernen Tages würde er als alter Mann sterben, ohne daß jemals jemand wußte, wer er wirklich gewesen war. Und noch hundert Jahre lang würde man danach auch von ihm reden, von dem geheimnisvollen Würger, der zu gerissen für die Polizei war, als daß sie ihn gefangen hätte. Während er so auf der Straße dahinging, spürte er einen Regentropfen. Gott sei Dank war gerade Regenzeit in London! Er mußte ein neues Opfer haben! Damit er diese Wut aus dem Leib kriegte! Er mußte seine Mutter ein weiteres Mal bestrafen! Als wäre es gestern gewesen, sah er diese Szene wieder vor sich, wie er damals im Regen stand und sie beobachtete, wie sie einen Fremden küßte. Der Zorn darüber nahm ihm auch jetzt noch,
wie immer, fast den Atem.
Er sah sich um. Er mußte sich einen neuen Supermarkt suchen. Jetzt, da die Polizei vom Mayfair-Markt wußte, konnte er es nicht riskieren, wieder dorthin zu gehen. Dort lauerten sie ihm zweifellos auf. Und alles nur, weil dieses Luder entkommen ist!
Es begann, stärker zu regnen. Er spürte, wie seine innere Erregung wuchs. Einige Häuserblocks von seinem Wohnhaus entfernt gab es noch einen Supermarkt.
Doch dort ein neues Opfer zu suchen war zu riskant: Dort kannte man ihn, weil er da selbst immer einkaufte.
Statt dessen ging er noch zehn Häuserblocks weiter in die entgegengesetzte Richtung, bis er zu einem kleineren Selbstbedienungsladen kam. Er betrat ihn und sah sich vorsichtig um, ob auch keine Polizisten auf der Lauer nach ihm lagen. Aber er konnte nichts Verdächtiges entdecken. Ein Angestellter kam zu ihm. „Kann ich Ihnen helfen?" Alan Simpson War schon in Versuchung zu sagen: Gewiß. Wenn Sie mir vielleicht eine geeignete nette Frau aussuchen würden, die ich dann erwürgen könnte? Aber das sagte er natürlich nicht.
Dafür sagte er: „Vielen Dank, ich sehe mich nur ein wenig um. Ich weiß noch nicht, was ich heute zu Abend essen möchte." Es war immer ein anregendes Spiel zu raten, was er dann wirklich zum Abendessen bekommen würde. Das hing davon ab, was sein Opfer in der Einkaufstasche hatte. Einmal Waren es Lammkoteletts, die er sich gut schmecken ließ, ein andermal Fisch, der ihm aber nicht besonders gemundet hatte. Was ihm geschmeckt hatte, war lediglich, daß er die Frau mit dem Fisch umbrachte. War ihr ganz recht geschehen.
Jetzt beobachtete er die einkaufenden Kunden. Es waren drei Männer und etwa ein Dutzend Frauen. Eine Frau ging am Stock. Das wäre zu leicht , dachte er. Eine andere Frau hatte zwei Kinder bei sich. Sein Blick wanderte über sie hinweg weiter. Und dann sah er, was er suchte.
Eine junge Frau, die ein wenig wie seine Mutter aussah! Perfekt! Und sie war ohne Schirm! Sie stand an der Fleischtheke. Hoffentlich kaufte sie etwas, das er gerne aß! Er beobachtete sie, wie sie zum Ausgang ging, und folgte ihr rasch. Sie blieb stehen und sah hinaus in den Regen. Da war er schon neben ihr. „Regnet ziemlich heftig, was?" sagte er und nickte ihr zu. „Ja, und ich habe keinen Schirm dabei!"
„Ich habe einen", bot er sich an. „Wohnen Sie in der Nähe?"
„Gar nicht weit", sagte die Frau. „Aber ich möchte Sie nicht in
Anspruch nehmen!"
„Welche Richtung haben Sie?"
„Dorthin." Sie deutete.
„Na sehen Sie, ich auch", sagte Simpson. „Da können wir
zusammen gehen."
„Sehr freundlich."
„Gar keine Ursache!"
Und sie gingen hinaus auf die Straße.
„Kommen Sie", sagte Alan Simpson, „ich trage Ihnen Ihre Tasche!"
„Das ist aber wirklich nicht nötig. Die kann ich schon alleine tragen."
Nie wollen sie sich von ihren eingekauften Sachen trennen. Keine.
„Wohnen Sie auch hier in der Gegend?" fragte die Frau.
„Ja", log er.
„Sehr angenehme Gegend, nicht?"
Er nickte. „Ja, unbedingt. Ich wohne sehr gerne hier." Sie kamen in eine dunkle Seitenstraße, und Simpsons Herz begann schneller zu schlagen. In ein paar Minuten weiß ich, was ich zum Abendessen bekomme. Er hatte Hunger. Morden machte ihn sehr hungrig.
„Da vorne an der Ecke müssen wir abbiegen", sagte die Frau. Sie bogen ab und gingen die Straße entlang, die noch dunkler war als die anderen. Simpson vergewisserte sich, daß niemand in Sicht war. Diesmal sollte ihm kein überraschend auftauchendes Taxi ins Handwerk pfuschen!
Er wartete bis zur Mitte des Blocks, wo es am düstersten war. Dann setzte er dazu an, hinter der Frau zurückzubleiben, um ihr
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