Der Regenmoerder
kritisch. Nein. Die Augen sind zu groß, und die Nase ist zu klein. Sie ebnete den Ton wieder und begann neu zu modellieren.
Wenn sich der Ton nur nicht so lebendig angefühlt hätte, jedesmal, wenn sie ihn berührte! Es war etwas fast Böses an ihm. Als sei der Geist des Mörders darin und versuche, herauszukommen. Sie wurde das Gefühl nicht los, der Würger werde, sobald sie mit dem Kopf fertig sei, leibhaftig daraus hervorspringen und sie anfallen. Es war ihr klar, wie lächerlich das war. Aber die Vorstellung ließ sich einfach nicht unterdrücken.
Nicht, daß sie abergläubisch gewesen wäre. Aber da war etwas an dem Modellierton, das sich nicht erklären ließ. Noch nie hatte sie so etwas erlebt.
Es klopfte. Sie ging zur Tür, machte aber nicht auf.
„Ja? Wer ist da ?"
„Mrs. Goodman!"
Sie machte der Nachbarin die Tür auf. Mrs. Goodman sah sie an und sagte: „Gott sei Dank, Sie sind gesund und munter." „Was? Wieso?"
„Ich habe Ihr Bild in der Zeitung gesehen und gelesen, daß Sie nur knapp dem Würger entgangen sind! Oh, Sie Arme! Ich hatte ja keine Ahnung! Es muß schlimm für Sie gewesen sein!" „Das war es, ja", sagte Akiko. „Ich dachte schon, mein letztes Stündlein hat geschlagen!"
„Wie sah er denn aus, dieser Würger?" fragte Mrs. Goodman. Akiko dachte kurz nach. Wie sollte man das Böse dieses Menschen erklären? Wie das Lächeln auf seinem Gesicht, während er sie zu erdrosseln versuchte? Und wie wollte sie ihr eigenes Entsetzen beschreiben? „Er war jung", sagte sie. „War er häßlich?"
Innerlich auf jeden Fall, dachte Akiko . Innerlich war er häßlich, ja.
„Nein. Er sah eigentlich ganz freundlich aus. Wenn. man ihn auf der Straße sehen würde, käme man nie auf den Gedanken, daß er dieser Würger ist. Es war sogar etwas... wie soll ich sagen... Unschuldiges um ihn."
Mrs. Goodman hatte ganz große Augen. „O Gott, O Gott! Und wie haben Sie ihn kennengelernt? Ich meine, wie kam es dazu, daß er Sie angriff?"
„Ich war einkaufen. Es fing zu regnen an, und ich hatte keinen Regenschirm mit, er hatte aber einen und bot mir an, mich nach Hause zu begleiten."
Noch während sie es erzählte, überlegte sich Akiko, ob sie nicht vielleicht schon zuviel ausplauderte und ob Sergeant Yamada es gutheißen würde, wenn sie mit irgendwem über die ganze Sache sprach. Aber Mrs. Goodman war schließlich eine vertrauenswürdige alte Bekannte.
„Wir machten uns also auf den Weg", sagte sie und in der Erinnerung daran überlief sie wieder ein Schauder. „Und plötzlich, mitten auf einer dunklen Seitenstraße, stieß er mir die Spitze seines Regenschirms in den Rücken. Ich ließ vor Schreck meine Einkaufstüte fallen, und bevor ich noch begriffen hatte, was geschah, hatte ich schon einen Strick um den Hals."
Mrs. Goodmans Gesicht war voller Mitgefühl. „Und dann? Was geschah dann?"
„An mehr erinnere ich mich nicht",. sagte Akiko. „Ich habe dann wohl das Bewußtsein verloren. Erst hinterher erfuhr ich, daß mir ein nur zufällig vorbeikommendes Taxi das Leben rettete. Der Taxifahrer sah, was da vorging und hielt an. Da rannte der Würger davon."
Mrs. Goodman sah sinnend auf Akiko und sagte dann: „Ich habe eine Idee. Kommen Sie doch zu mir, und bleiben Sie ein paar Tage. Ich habe genug Platz in meiner Wohnung." „Das ist sehr freundlich von Ihnen", sagte Akiko. „Aber es geht nicht. Ich habe zu arbeiten." „Kann das denn nicht warten?"
Akiko dachte daran, wie sehr Sergeant Yamada darauf wartete, daß sie den Kopf des Würgers fertigmodellierte. „Nein, leider nicht", sagte sie.
Mrs. Goodman seufzte. „Lassen Sie es mich aber wissen, falls Sie es sich doch anders überlegen. Ich möchte nur verhindern, daß Ihnen noch einmal etwas zustößt."
Akiko lächelte. Ich auch. „Machen Sie sich keine Sorgen. Mir passiert schon nichts mehr." Sergeant Yamada sorgt schon dafür.
Alan Simpson war zornig. Er kam nicht darüber hinweg, daß ihm ein Opfer entwischt war. Wenn nur dieses Taxi nicht gewesen wäre! Jedenfalls kam nicht in Frage, daß sie am Leben blieb und ihn identifizierte! Irgendwie mußte er sie finden und töten.
Vor hundert Jahren hatte es in London schon einmal einen berüchtigten Frauenmörder gegeben. Man nannte ihn Jack the Ripper . Auch er hatte damals ganz London in Angst und Schrecken versetzt und ein Dutzend Frauen ermordet. Er war niemals gefaßt worden, und aus diesem Grund war er unsterblich geworden. Noch heute redete man von ihm. Auf abwegige Weise
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