Der Regler
auch der Wein, vor allem der Valpolicella. Luigi war überzeugt, er hatte den besten Valpolicella vom ganzen See. Klarer, purer Geschmack, ohne jeden Verschnitt.
Der nette Luigi, den alle kannten und mochten, war aber nur die eine Version dieses Mannes. Luigi stand seit vielen Jahren auf dem Gehaltszettel der italienischen Geheimpolizei. Er war kein einfacher Spitzel, sondern einer für die Jobs in der Grauzone. Was er genau machte, wusste vermutlich nur er selbst. Klar schien auch zu sein, dass er noch andere Auftraggeber hatte, Leute, die Recht und Gesetz schon aus Prinzip ablehnten. Seiner Erfahrung nach entstand daraus kein Widerspruch, eher im Gegenteil, Luigi war immer gut gefahren mit seiner eigenen Geschäftsphilosophie: Alles ist gut, solange die Leute von mir profitieren; wenn sie das nicht mehr tun, habe ich ein Problem.
Seine Begegnung mit Gabriel Tretjak lag schon ein paar Jahre zurück. Nur ein paar Tage hatten sie miteinander zu tun gehabt, doch diese Tage waren intensiv gewesen. Es hatte damals auch einen Moment gegeben, da hatte Luigi Angst gehabt, ein Gefühl, das ihn nur äußerst selten erreichte. Tretjak hatte ihm geholfen, und so etwas vergaß man nicht, schon gar nicht einer vom Schlage Luigis. Er hatte keine Sekunde gezögert, als Tretjak ihn im September angerufen und um einen Gefallen gebeten hatte.
Gabriel Tretjak hatte gefragt, ob er sich umhören könnte, in Maccagno und den umliegenden Orten. Ob irgendetwas Besonderes vorginge, ob sich etwas Spezielles ankündigte. Das war alles.
Luigi hatte schon früh im Leben begriffen, dass man mit hundert Leuten reden und gar nichts mitbekommen konnte, wenn es die falschen waren. Und man konnte mit drei Leuten sprechen und alles begreifen, wenn es die richtigen waren. Diesmal waren es am Ende vier Leute gewesen, mit denen er gesprochen hatte. Danach hatte festgestanden, dass sich tatsächlich etwas Spezielles ankündigte in diesen Herbsttagen.
Es gab etwas Großes, und es gab etwas Kleines, von dem Luigi glaubte, es könnte Tretjak interessieren. Das Kleine: Jemand hatte im Hotel
Torre
alle Zimmer reserviert. Und alles im Voraus bezahlt. Angeblich wegen eines Klassentreffens. Aber niemand wusste etwas von einer Feier. Das Große: Jemand hatte beachtliche Mengen von Sprengstoff gekauft. In diesem Fall war die Recherche besonders einfach gewesen: Der Mann, bei dem die Frau den Sprengstoff bestellt hatte, war ein alter Schulfreund von Luigi. Sie kannten sich aus den verschiedensten Versionen des Lebens.
Als Luigi Tretjak dann informiert hatte, hatte der ihn gefragt, ob er noch etwas für ihn organisieren könnte. Er solle dafür sorgen, dass der Sprengstoff zwar geliefert würde, aber nicht explodieren könne. »Klar«, hatte Luigi gesagt, »geht in Ordnung.«
Es war jetzt später Nachmittag am Lago Maggiore. Luigi mochte den November. Das Lokal war noch leer, es würde noch eine gute Stunde dauern, bis die ersten Gäste kamen. Nicht viele um diese Jahreszeit. Luigi saß allein in dem leeren Gastraum, nur in der Küche hörte man ein paar Geräusche. Er öffnete eine Flasche Wein, nur für sich, seinen teuersten Wein, einen Amarone, den großen Bruder des Valpolicella. Er goss sich ein Glas voll und schwenkte es, einmal, zweimal, immer wieder. Ein Sprengstoff, der nicht explodiert. Der Job hatte Luigi gefallen. So etwas könnte ruhig öfter kommen. Er dachte an den Moment, in dem er Tretjak am Fähranleger das vereinbarte Zeichen gegeben hatte, dass alles geklappt hatte. Dann nahm er einen Schluck vom wunderbaren Amarone und dachte, wie angenehm das Leben doch war.
Epilog
Am Schluss blieb immer etwas übrig, ein allerletztes Puzzlestück. Diese Erfahrung hatte Rainer Gritz in seinem bisherigen Polizistenleben gemacht: Irgendetwas war am Ende immer noch zu klären.
Diesmal lag das letzte Puzzlestück in Südtirol, in einem Dorf über Bozen, weit oben, eingeschlossen von den Bergen. Es war der 21. Dezember, drei Tage vor Weihnachten. In München lag kein Schnee. Mild und klar war die Luft, als Gritz morgens um sieben losfuhr. Sein Navigationssystem teilte ihm mit, er werde Bozen gegen 11 Uhr 12 erreichen.
August Maler hatte ihm von dem Mann erzählt, der bei den Adlern wohnte. Ein Hinweis von Tretjak senior. Der Mann mit den Adlern könne die Geschichte aufklären, die zwischen seinen beiden Söhnen passiert war, damals vor zehn Jahren. Die angebliche Geschichte. Warum der eine Sohn verschwunden war und der andere, Gabriel Tretjak, nichts
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