Der Regler
in dem Torbogen, der in den Hof führte, parkte ein Minivan der Marke Toyota. Er sah aus wie ein Baustellenfahrzeug, schmutzig, die verblichene Aufschrift einer Dachziegelfirma an den Seiten. Aber er war bis unters Dach mit Sprengstoff gefüllt. Wenn Fiona hier fertig war, würde sie gehen, das Zimmer hinter sich abschließen, das Hotel verlassen. Und dann den Zündmechanismus betätigen, der den Van in die Luft jagen konnte. Den Van, das Hotel, womöglich noch mehrere Gebäude.
Tretjak sah Charlotte Poland an. Sie wirkte völlig apathisch, wie gelähmt. Es tat ihm leid, dass er ihr nicht helfen konnte. Irgendwie mochte er sie inzwischen. Die Frau mit ihrem verkorksten Sohn. Vielleicht dachte sie gerade an ihn, jetzt hier verrenkt auf dem Boden kauernd, die Hände auf dem Rücken festgekettet. Und überlegte, was mit ihm geschehen würde, wenn ihr etwas zustieß. Aber vielleicht dachte sie auch gar nichts.
Das Gefühl, das in Tretjak aufstieg, war grotesk, aber es war da. Er fühlte sich plötzlich frei – obwohl er gerade gefesselt wurde. Zwanzig Jahre begleitete ihn jetzt der Geruch von verfaulten Stücken seines Lebens. Und jetzt, hier am See, würde das ein Ende finden.
»Wir sind aus dem gleichen Holz, Fiona«, sagte Tretjak. »Du solltest mich mitnehmen.«
Sie richtete sich auf und sah ihn an. Ihre Augen waren tot. Tretjak fragte sich, ob sie unter Drogen stand.
»Wir aus dem gleichen Holz?«, sagte sie mit flacher, tonloser Stimme. »Du bist so weit entfernt davon, etwas zu verstehen. Warst immer so weit entfernt davon.«
»Ich kenne eine Nummer«, sagte Tretjak und fügte hinzu: » BR 69Q345.«
»Und? Was soll ich damit?«
»Denk nach, Fiona«, antwortete er. Es würde nichts ändern, aber es befriedigte ihn, sie zu verunsichern. Sein altes Spiel: Wann bekam wer welche Information?
»Ich wünsch dir die Hölle, Gabriel«, sagte sie. Und im nächsten Moment fiel die Zimmertür hinter ihr ins Schloss. Man hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde. In der Ecke hinter dem zweiten grünen Sessel begann Charlotte Poland zu weinen.
10
In München habt ihr das Mädchen getestet und gesagt, es ist genial. In Antwerpen habt ihr das Mädchen getestet und gesagt, es ist verrückt. So weit weg seid ihr, so hoffnungslos weit weg. Gleich machen wir ein kleines Feuerwerk. Danach sieht die Welt ein bisschen anders aus, jedenfalls meine Welt.
Sie nahm nicht den Fahrstuhl, sondern die Treppe. Fast lautlos glitt sie auf dem Teppichläufer die Stufen hinunter. Die Treppe mündete hinter der Rezeption in der Eingangshalle. Sie blieb stehen und betrachtete den Rücken des Portiers. Er war der einzige Mensch in diesem Hotel, mit dem sie zu tun gehabt hatte. Ein irgendwie teigiger Typ, der heute ein blauweißgestreiftes Hemd trug. Sie wollte auf Nummer sicher gehen. Nicht dass der noch aus irgendeinem Grund seinen Posten verließ. Sie verfolgte mit dem Blick einen der Streifen seines Hemdes auf der rechten Seite des Rückens von der Schulter abwärts. Sie griff in die Innentasche ihres Anoraks, die Stilettnadel steckte in einem eingenähten Futteral, das Messer daneben. Es ging schnell, es gab kein Geräusch. Dann lag der teigige Typ ausgestreckt am Boden hinter dem Rezeptionstresen und blickte mit einem starren, überraschten Gesichtsausdruck zur Decke.
Unfähig, meinen Platz in der Realität zu finden? Nicht in der Lage, den eigenen Anspruch an die Wirklichkeit anzupassen? Sorry, kann ich nicht teilen, dieses Gutachten. Das hast du meinem Vater gemailt, Herr Doktor Superschlau Kufner. Und mir hast du an den Arsch gefasst. Auch ein interessanter Weg, den Anspruch an die Wirklichkeit anzupassen. Was war das für eine Nummer, Gabriel? Ja, vielleicht sind wir aus demselben Holz. Aber du musst jetzt sterben.
Sie ging durch die Eingangstür hinaus auf die Piazza. Gleich links in dem Torbogen stand der Lieferwagen. Vor der Bar rauchte jemand. Sie verspürte jähe Lust nach einer Zigarette. Sie hatte lang nicht geraucht. Sie spielte mit dem Gedanken, den Mann dort um eine zu bitten. Warum den Moment nicht noch ein wenig genießen? Aber dann fiel ihr der Anruf des Kommissars ein. Handys konnte man orten. Sie würde noch viel Zeit haben, Zigaretten zu rauchen, dachte sie und setzte ihren Weg fort. Sie überquerte erst die Piazza, dann die Hauptstraße, ging die Promenade entlang bis zum Fähranleger, blieb dann stehen und drehte sich um.
Ein ruhiges Bild, eine schöne Komposition aus Licht, Schatten und den
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