Der Regler
leuchtende Anzeige und runzelte die Stirn. Die Klinik in München? Jetzt? Warum?
»Hallo?«, sagte sie.
4
Die Schwester hatte schon morgens um sieben 38,5 Grad Fieber gemessen, und gegen neun Uhr Vormittag war es weiter gestiegen, auf 39,0. Maler wusste, was das Fieber bedeutete: Der Körper rief seine Abwehrkräfte zum Angriff – wäre er noch ein normal gesunder Mensch, wäre das kein Grund zur Sorge, sondern ein Zeichen für die Widerstandskräfte, die sich gegen Bakterien oder Entzündungen sammelten. Doch bei einem Transplantierten war Fieber gefürchtet, denn es war möglich, dass die Abwehrkräfte das fremde Organ als Feind ausgemacht hatten.
Die Schwester hatte gerade mit besorgtem Blick die 39,0 Grad festgestellt, als Gritz anrief, mit seinen Neuigkeiten. Kurz darauf stand der Stationsarzt im Zimmer und teilte mit, die Blutuntersuchung habe leider ergeben, dass die Abstoßungsreaktion größer geworden sei. 2a. Immer noch kein Grund zur Panik, aber man müsse jetzt noch ein paar Untersuchungen machen und ihn am Abend vorsichtshalber auf die Isolierstation verlegen, wo man bei deutlich geringerer Infektgefahr sein Immunsystem für eine Zeit ausschalten konnte. Der Stationsarzt sagte noch, er habe auch den Professor informiert, der ihn sicher später auf der Isolierstation besuchen werde.
August Maler hatte Angst. Er wollte nicht isoliert werden, er wollte nicht, dass alles wieder neu anfing, die Albträume, der Durchgang. Und er hatte Angst, weil er an seinem Leben hing, an seiner Frau, an seiner Familie und auch an seinem Beruf. Wie weit würde das Fieber noch steigen? Er spürte den Herzschlag, kein gutes Gefühl, sein Herz schlug unregelmäßig, es stolperte. Bitte, Körper, lass doch mein Herz in Ruhe, dachte er.
Aber er wusste, er durfte sich dieser Angst nicht ergeben. Maler hatte noch etwas zu erledigen, und dafür musste er den richtigen Zeitpunkt abpassen, zwischen den Untersuchungen – und vor der Verlegung auf die Isolierstation.
Es war schon Abend, als der Zeitpunkt endlich gekommen war. Maler fühlte sich ausgelaugt und schwach, hatte inzwischen fast vierzig Fieber. Viel Zeit hatte er nicht, höchstens ein paar Minuten, bevor der Pfleger kam, der ihn auf die andere Station bringen sollte. Maler zog seinen Bademantel an und eilte aus seinem Zimmer den Gang zum Aufzug hinunter. Er hatte Glück, dass ihn keine Schwester sah. Er fuhr zwei Stockwerke nach oben und ging dann links zur Onkologie, zur Krebsstation. Maler klopfte ans Stationszimmer. Eine Schwester Judith öffnete die Tür und sah ihn fragend an: »Ja?«
Maler hatte sich eine Geschichte ausgedacht, die er nun erzählte: Er habe immer in der Cafeteria Schach gespielt mit einem Patienten, der, schwer krebskrank, zum Sterben in die Klinik gekommen war. Und jetzt wolle er sich nach ihm erkundigen, er wisse aber seinen Namen nicht mehr. Ein netter Mann, noch nicht sehr alt, vielleicht sechzig. Maler hatte Glück mit Schwester Judith, denn sie war bekannt dafür, dass sie gern redete. Sie sagte, sie hätten gerade vier Patienten auf Station, die zum Sterben hier seien, zwei Frauen, zwei Männer. Sie schüttelte den Kopf. Aber die Männer seien viel zu krank für ein Schachspiel, schon lange, der Herr Leucht und der Herr Braun, nein, nein, die seien das sicher nicht.
»Hat einer von beiden vielleicht eine Tochter, die regelmäßig zu Besuch kommt?«, fragte Maler.
»Nee, beim Herrn Leucht kommt immer der Sohn. Bei Herrn Braun kommt gar niemand. Aber Moment, stimmt, da war noch ein Patient, auch sterbenskrank, der hätte vielleicht noch Schachspielen können. Der lief hier auf der Station manchmal herum, und zu dem kam öfters die Tochter. Aber der ist nicht mehr hier, der wurde gestern verlegt, in ein Hospiz in Solln. Soll ich Ihnen die Adresse geben?«
Maler nickte.
»Also«, sagte Schwester Judith, »der Patient heißt Martin Krabbe, und die Telefonnummer des Hospizes lautet …«
Krabbe, Martin Krabbe. Maler hörte der Schwester nicht mehr zu. Der Mann, den ihm Dimitri Steiner genannt hatte. Von dem Steiner mit einer Mischung aus Furcht und Respekt gesprochen hatte. Und das hatte bei einem Mann wie Steiner etwas zu bedeuten. Gritz hatte noch versucht, Krabbe zu verhören, aber da war er schon zu krank, hieß es. Aber Schachspielen hätte er können? Maler wusste, dass all das hier nicht gut war für sein Herz, aber er hörte sich fragen: »Schwester, das ist er, den ich gesucht habe. Haben Sie eine Nummer von der Tochter,
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