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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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Einchecken im Hotel nicht, dachte sie und schmunzelte. Dass für diese Nacht alle Zimmer schon vorab bestellt und bezahlt waren, dass sie alle leer waren, außer demjenigen, das den beiden jetzt zugewiesen werden würde – wen interessierte das?
     
    Immer wenn du bei uns zu Hause warst, blieb ich in deiner Nähe. So gut es eben ging. Einmal habt ihr Männer abends im Wohnzimmer gesessen, du, mein Vater und noch zwei andere, die ich nicht kannte. Ich war daneben in dem kleinen Fernsehzimmer, du weißt wahrscheinlich gar nicht, dass es das gab. Die Tür war zu, und ich konnte nur die Stimmen hören, verstehen konnte ich fast nichts, aber darum ging es nicht. Du hast nicht sehr viel gesagt, aber ich hab immer auf deine Stimme gewartet. Der Fernseher lief ganz leise, ich hab gar nicht mehr hingeschaut, ich lag auf dem Sofa und wartete auf deine Stimme. Manchmal war es nur ein Wort, zwischen den anderen Stimmen und dem Klirren der Gläser. Der Rauch der Zigarren und Zigaretten kam unter der Tür durch, und zwischen meinen Beinen hatte ich ein Kissen, ein großes blaues, ich hatte nur ein T-Shirt und ein Höschen an, und es wurde dort immer wärmer, und ich hab deine Stimme gehört und mich an dem Kissen gerieben. Und weiter an dem Kissen gerieben, und dann ist es losgegangen, und ich hab keine Luft mehr bekommen, und es war so unglaublich schön. Kannst dir was drauf einbilden auf meinen ersten Orgasmus. Manche Frauen haben im ganzen Leben keinen.
     
    Jetzt kam den beiden auf der Promenade ein stämmiger Mann mit einer etwas absurden roten Zipfelmütze entgegen, Marke deutscher Campingtourist, dachte sie. Von der Saison übrig geblieben. Der Mann fragte Tretjak irgendetwas, offensichtlich nach einer Straße, weil Tretjak ein paar Zeichen mit der Hand machte, bevor er schließlich seinen Weg fortsetzte. Charlotte Poland blieb während der kurzen Unterbrechung neben ihm stehen. Das war der richtige Moment, um die vorbereitete SMS zu schicken. Natürlich konnte sie von hier oben bei der Kirche nicht hören, wie die Nachricht im Telefon von Charlotte Poland ankam. Aber fast konnte man sich das Piepsen einbilden. Jedenfalls sah sie, wie die Schriftstellerin reagierte, das Handy aus ihrem Mantel holte und aufs Display blickte. Was für ein aufregender Gedanke: Beide Personen dort unten glaubten, dass sie selbst es waren, die bestimmten, was geschah und geschehen würde.
     
    Daran, Gabriel, zweifelst du doch keine Sekunde, oder? Du hast Angst, ich weiß es, aber du glaubst zu wissen, wovor du Angst hast. Und du glaubst zu wissen, was du tun musst.
     
    Sie sah zu, wie die beiden die Hauptstraße überquerten, die den See mit Hafen und Promenade vom Ort trennte. Wie sie die Piazza Roma überquerten und im Eingang des Hotel
Torre
verschwanden. Die Glastür mit den drei goldenen Sternen schwang noch eine kleine Weile hin und her.

2
    Sie hatte an so vieles gedacht. Das sollten die Ermittlungen später ergeben. Es war ihr beispielsweise gelungen, die Telefonanlage des Finanzamtes München I mit einem Befehl zu programmieren, der jeden Anruf für Fiona Neustadt automatisch auch an ihr Handy weiterleitete. Sie wusste also immer, wer Fiona Neustadt sprechen wollte, und konnte mithören. Sie hatte sich als eine Mitarbeiterin der Telefonfirma ausgegeben, vom Wartungsdienst. Offenbar hatte sie eine ruhige halbe Stunde allein in einem Raum voller Bildschirme und Telekommunikation verbracht. Das Komplizierteste war die Umleitungsfunktion gewesen für sämtliche Nummern aus dem Polizeipräsidium, die Frau Neustadt erreichen wollten. Umleitung hieß: Keiner dieser Anrufe kam bei Frau Neustadt an, alle, auch sämtliche Handyanrufe aus der Mordkommission, landeten direkt bei ihr. Nur einmal hatte es an der Tür zum Technikraum geklopft. Eine nette Sekretärin hatte gefragt, ob sie vielleicht einen Kaffee mochte. Auch diese Sekretärin wurde später vernommen.
     
    Sie hatte an so vieles gedacht. Was sie allerdings nicht bedacht hatte, war eine in der Mordkommission allseits bekannte und belächelte Eigenschaft des Kollegen Rainer Gritz. Er telefonierte nur höchst ungern, er vermied es, wann immer er konnte. Er schickte Mails, und am allerliebsten fuhr er irgendwohin, um selbst zu schauen, um viele Eindrücke gleichzeitig zu gewinnen, wie er es ausdrückte. »Ich bin am Telefon nur zwanzig Prozent«, hatte er einmal zu Maler gesagt.
    Rainer Gritz wohnte im Münchner Stadtteil Schwanthaler Höhe, allein in einer Zweizimmerwohnung. Zwei

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