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Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Der Richter und sein Henker - Der Verdacht

Titel: Der Richter und sein Henker - Der Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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weißen Felsen. Er mußte den Tatort erreicht haben. Da löste sich eine dunkle Gestalt von der Felswand und gab deutlich ein Zeichen, der Wagen solle anhalten.
    Tschanz stoppte unwillkürlich und öffnete die rechte Wagentüre, obgleich er dies im nächsten Augenblick bereute, denn es durchfuhr ihn die Erkenntnis, daß, was ihm jetzt begegnete, auch Schmied begegnet war, bevor er wenige Atemzüge darauf erschossen wurde. Er fuhr in die Manteltasche und umklammerte den Revolver, dessen Kälte ihn beruhigte. Die Gestalt kam näher. Da erkannte er, daß es Bärlach war, doch wich seine Spannung nicht, sondern er wurde weiß vor heim-52
    lichem Entsetzen, ohne sich über den Grund der Furcht Rechenschaft geben zu können. Bärlach beugte sich nieder, und sie sahen sich ins Antlitz, stundenlang scheinbar, doch handelte es sich nur um einige Sekunden. Keiner sprach ein Wort, und ihre Augen waren wie Steine. Dann setzte sich Bärlach zu ihm, der nun die Hand von der verbor-genen Waffe ließ.
    »Fahr weiter, Tschanz«, sagte Bärlach, und seine Stimme klang gleichgültig.
    Der andere zuckte zusammen, wie er hörte, daß ihn der Alte duzte, doch von nun an blieb der Kommissär dabei.
    Erst nach Biel unterbrach Bärlach das Schweigen und fragte, was Tschanz in Lamboing erfahren habe, »wie wir das Nest nun wohl doch endgültig auf französisch nennen müssen«.
    Auf die Nachricht, daß sowohl Charnel wie auch Clenin einen Besuch des ermordeten Schmied bei Gastmann für unmöglich hielten, sagte er nichts; und hinsichtlich des von Clenin erwähnten Schriftstellers in Schernelz meinte er, er werde diesen noch selber sprechen.
    Tschanz gab lebhafter Auskunft als sonst, auf-atmend, daß man endlich wieder redete, und weil er seine sonderbare Erregung übertönen wollte, doch schon vor Schupfen schwiegen sie wieder beide.

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    Kurz nach elf hielt man vor Bärlachs Haus im Altenberg, und der Kommissär stieg aus.
    »Ich danke dir noch einmal, Tschanz«, sagte er und schüttelte ihm die Hand. »Wenn's auch genier-lich ist, davon zu reden; aber du hast mir das Leben gerettet.«
    Er blieb noch stehen und sah dem verschwin -
    denden Schlußlicht des schnell davonfahrenden Wagens nach. »Jetzt kann er fahren, wie er will.«
    Er betrat sein unverschlossenes Haus, und in der Halle mit den Büchern fuhr er mit der Hand in die Manteltasche und entnahm ihr eine Waffe, die er behutsam auf den Schreibtisch neben die Schlange legte. Es war ein großer, schwerer Revolver.
    Dann zog er langsam den Wintermantel aus. Als er ihn jedoch abgelegt hatte, war sein linker Arm mit dicken Tüchern umwickelt, wie es bei jenen Brauch ist, die ihre Hunde zum Anpacken einüben.
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    Am ändern Morgen erwartete der alte Kommis sär aus einer gewissen Erfahrung heraus einige Unannehmlichkeiten, wie er die Reibereien mit Lutz nannte. »Man kennt ja die Samstage«, meinte er zu sich, als er über die Altenbergbrücke schritt,
    »da zeigen die Beamten die Zähne bloß aus schlechtem Gewissen, weil sie die Woche über nichts Ge scheites gemacht haben.« Er war feierlich schwarz gekleidet, denn die Beerdigung Schmieds war auf zehn Uhr angesetzt. Er konnte ihr nicht ausweichen, und das war es eigentlich, was ihn ärgerte.
    Von Schwendi sprach kurz nach acht vor, aber nicht bei Bärlach, sondern bei Lutz, dem Tschanz eben das in der letzten Nacht Vorgefallene mitgeteilt hatte.
    Von Schwendi war in der gleichen Partei wie Lutz, in der Partei der konservativen liberalsozia-listischen Sammlung der Unabhängigen, hatte diesen eifrig gefördert und war seit dem gemeinsamen Essen anschließend an eine engere Vorstands-sitzung mit ihm auf Du, obgleich Lutz nicht in den 55
    Großrat gewählt worden war; denn in Bern, er-klärte von Schwendi, sei ein Volksvertreter mit dem Vornamen Lucius ein Ding der absoluten Unmöglichkeit.
    »Es ist ja wirklich allerhand«, fing er an, kaum daß seine dicke Gestalt in der Türöffnung erschienen war, »wie es da deine Leute von der Berner Polizei treiben, verehrter Lutz. Schießen meinem Klienten Gastmann den Hund zusammen, eine seltene Rasse aus Südamerika, und stören die Kultur, Anatol Kraushaar-Raffaeli, weltbekannter Pianist. Der Schweizer hat keine Erziehung, keine Weltoffenheit, keine Spur von einem europäischen Denken. Drei Jahre Rekrutenschule das einzige Mittel dagegen.«
    Lutz, dem das Erscheinen seines Parteifreundes peinlich war und der sich vor seinen endlosen Tiraden fürchtete, bat von Schwendi, Platz zu

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