Der Richter und sein Henker - Der Verdacht
unverfrorene Antwort schmetterte Lutz so nieder, daß er zuerst gar nichts zu erwidern vermochte. Er zündete sich eine Zigarette an, ohne in seiner Verwirrung von Schwendi eine anzubie-ten. Erst dann setzte er sich in seinem Stuhl zurecht und entgegnete:
»Die Tatsache, daß Schmied bei Gastmann war, zwingt leider die Polizei, sich mit deinem Klienten zu befassen, Heber Oskar.«
Von Schwendi ließ sich nicht beirren. »Sie zwingt die Polizei vor allem, sich mit mir zu befassen, denn ich bin Gastmanns Anwalt«, sagte er.
»Du kannst froh sein, Lutz, daß du an mich geraten bist; ich will ja nicht nur Gastmann helfen, sondern auch dir. Natürlich ist der ganze Fall meinem Klienten unangenehm, aber dir ist er viel peinlicher, denn die Polizei hat bis jetzt noch nichts herausgebracht. Ich zweifle überhaupt daran, daß ihr jemals Licht in diese Angelegenheit bringen werdet.«
»Die Polizei«, antwortete Lutz, »hat beinahe jeden Mord aufgedeckt, das ist statistisch bewiesen.
Ich gebe zu, daß wir im Falle Schmied in gewisse Schwierigkeiten geraten sind, aber wir haben doch auch schon« — er stockte ein wenig —
»beachtliche Resultate zu verzeichnen. So sind wir von selbst auf Gastmann gekommen, und wir sind denn auch
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der Grund, warum dich Gastmann zu uns geschickt hat. Die Schwierigkeiten liegen bei Gastmann und nicht bei uns, an ihm ist es, sich über den Fall Schmied zu äußern, nicht an uns. Schmied war bei ihm, wenn auch unter falschem Namen; aber gerade diese Tatsache verpflichtet die Polizei, sich mit Gastmann abzugeben, denn das ungewohnte Verhalten des Ermordeten belastet doch wohl zunächst Gastmann. Wir müssen Gastmann
einvernehmen und können nur unter der Bedingung davon absehen, daß du uns völlig einwandfrei erklären kannst, warum Schmied bei deinem Klienten unter falschem Namen zu Besuch war, und dies mehrere Male, wie wir festgestellt haben.«
»Gut«, sagte von Schwendi, »reden wir ehrlich miteinander. Du wirst sehen, daß nicht ich eine Er-klärung über Gastmann abzugeben habe, sondern daß ihr uns erklären müßt, was Schmied in Lamboing zu suchen hatte. Ihr seid hier die Angeklag-ten, nicht wir, lieber Lutz.«
Mit diesen Worten zog er einen weißen Bogen hervor, ein großes Papier, das er auseinanderbrei-tete und auf das Pult des Untersuchungsrichters legte.
»Das sind die Namen der Personen, die bei meinem guten Gastmann verkehrt haben«, sagte er.
»Die Liste ist vollständig. Ich habe drei Abteilun-gen gemacht. Die erste scheiden wir aus, die ist 61
nicht interessant, das sind die Künstler. Natürlich kein Wort gegen Kraushaar-Raffaeli, der ist Ausländer; nein, ich meine die inländischen, die von Utzenstorf und Merligen. Entweder schreiben sie Dramen über die Schlacht am Morgarten und Ni-klaus Manuel, oder sie malen nichts als Berge. Die zweite Abteilung sind die Industriellen. Du wirst die Namen sehen, es sind Männer von Klang; Männer, die ich als die besten Exemplare der schweizerischen Gesellschaft ansehe. Ich sage dies ganz offen, obwohl ich durch die Großmutter mütterlicherseits von bäuerlichem Blut
abstamme.«
»Und die dritte Abteilung der Besucher Gastmanns?« fragte Lutz, da der Nationalrat plötzlich schwieg und den Untersuchungsrichter mit seiner Ruhe nervös machte, was natürlich von Schwendis Absicht war.
»Die dritte Abteilung«, fuhr von Schwendi endlich fort, »macht die Angelegenheit Schmied unangenehm, für dich und auch für die Industriellen, wie ich zugebe; denn ich muß nun auf Dinge zu sprechen kommen, die eigentlich von der Polizei streng geheim gehalten werden müßten. Aber da ihr von der Berner Polizei es nicht unterlassen konntet, Gastmann aufzuspüren, und da es sich nun peinlicherweise herausstellt, daß Schmied in Lamboing war, sehen sich die Industriellen gezwungen, mich zu beauftragen, die Polizei, so weit dies für den Fall Schmied notwendig ist, zu infor-62
mieren. Das Unangenehme für uns besteht nämlich darin, daß wir politische Vorgänge von eminenter Wichtigkeit aufdecken müssen, und das Un -
angenehme für euch, daß ihr die Macht, die ihr über die Menschen schweizerischer und nicht-schweizerischer Nationalität in diesem Lande besitzt, über die dritte Abteilung nicht habt.«
»Ich verstehe kein Wortvon dem, was du da sagst«, meinte Lutz.
»Du hast eben auch nie etwas von Politik verstanden, lieber Lucius«, entgegnete von Schwendi.
»Es handelt sich bei der dritten Abteilung um Angehörige einer fremden
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