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Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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erinnern. Sie hatten sich in einer staatlichen Entzugseinrichtung in Memphis kennen gelernt, und obwohl er sehr betroffen war, als er hörte, dass Forrest Hilfe brauchte, freute er sich, mit Ray über ihn zu sprechen.
    Ray versuchte, ihm zu erklären, dass es ziemlich dringend war, wenn ihm sein Bruder auch keine Details erzählt hatte und nicht erzählen würde. Ihr Vater sei vor drei Wochen gestorben, sagte er, als wäre das Grund genug.
    »Bringen Sie ihn her«, sagte Meave. »Wir finden schon einen Platz für ihn.«
    Dreißig Minuten später verließen sie die Stadt in Rays Mietwagen. Forrests Jeep hatten sie sicherheitshalber hinter dem Haus geparkt.
    »Bist du sicher, dass diese Kerle nicht hier auftauchen werden?«, fragte Ray.
    »Sie haben keine Ahnung, wo ich herkomme«, erwiderte Forrest. Sein Kopf lag an der Nackenstütze, die Augen waren hinter einer modischen Sonnenbrille verborgen.
    »Und was für Typen sind das genau?«
    »Ein paar richtig nette Jungs aus dem Süden von Memphis. Sie würden dir gefallen.«
    »Du schuldest ihnen Geld?«
    »Ja. «
    »Wie viel? «
    »Viertausend Dollar.«
    »Und wofür hast du diese viertausend Dollar gebraucht?«
    Forrest tippte sich an die Nase. Ray schüttelte verärgert den Kopf und biss sich auf die Zunge, um eine heftige Standpauke zu unterdrücken. Warte noch ein paar Kilometer, sagte er zu sich. Sie fuhren durch eine ländliche Gegend mit Ackerland auf beiden Seiten der Straße.
    Forrest fing an zu schnarchen.
    Zum dritten Mal hatte Ray seinen Bruder nun eigenhändig ins Auto gepackt, um ihn zu einer Entgiftungseinrichtung zu fahren. Das letzte Mal war vor fast zehn Jahren gewesen. Der Richter war damals noch nicht im Ruhestand, Claudia war noch an seiner Seite, und Forrest nahm mehr Drogen als jeder andere Mensch im Staat. Alles so, wie es fast immer schon gewesen war. Die Drogenfahndung hatte ein weites Netz um Forrest gespannt, dem er durch blankes Glück entkommen war. Sie glaubten, dass er mit Drogen handelte - was auch der Fall war -, und wenn sie ihn erwischt hätten, würde er heute noch im Gefängnis sitzen. Ray hatte ihn zu einer staatlichen Klinik in der Nähe der Küste gefahren. Der Richter hatte seine Beziehungen spielen lassen, um Forrest einen Platz zu besorgen. Dort tat er einen Monat lang nichts anderes, als zu schlafen, dann haute er ab.
    Die erste Fahrt der beiden Brüder zu einer Therapieeinrichtung hatte stattgefunden, als Ray in Tulane Jura studierte. Forrest hatte wahllos Pillen geschluckt, die eine fast tödliche Kombination ergaben. Sie pumpten ihm den Magen aus und hätten ihn beinahe für tot erklärt. Der Richter schickte ihn in eine Art Lager mit abgesperrten Türen und Stacheldraht in der Nähe von Knoxville. Forrest blieb eine Woche, dann flüchtete er.
    Forrest hatte zweimal im Gefängnis gesessen, einmal als Jugendlicher, einmal als Erwachsener, obwohl er zu dem Zeitpunkt erst neunzehn gewesen war. Die erste Verhaftung hatte unmittelbar vor einem entscheidenden Footballspiel seiner Highschool stattgefunden, an einem Freitagabend in Clanton, während die ganze Stadt dem Anpfiff entgegenfieberte. Er war sechzehn und Quarterback, ein Kamikazespieler, der alles nieder rannte, was sich ihm in den Weg stellte. Die Drogenfahnder holten ihn aus der Umkleidekabine und führten ihn in Handschellen ab. Sein Ersatzmann war ein blutiger Anfänger, und dass Clanton damals haushoch verlor, wurde Forrest Atlee von den Einwohnern der Stadt nie verziehen.
    Ray hatte mit dem Richter zusammen auf der Tribüne gesessen und sich wie alle anderen auf das Spiel gefreut. »Wo ist Forrest?«, fragten sich die Zuschauer während des Showprogramms vor dem Spiel. Als die Münze geworfen wurde, war Forrest im Gefängnis der Stadt, wo man ihm Finge-rabdrücke abnahm und ihn fotografierte. In seinem Wagen hatte man vierhundert Gramm Marihuana gefunden.
    Die nächsten zwei Jahre verbrachte er in einer Jugendstrafanstalt, aus der er an seinem achtzehnten Geburtstag entlassen wurde.
    Wie wird der sechzehnjährige Sohn eines angesehenen Richters einer Kleinstadt im amerikanischen Süden, in der es nie ein Rauschgiftproblem gegeben hat, zum Drogenhändler? Ray und sein Vater hatten sich diese Frage tausendmal gestellt. Die Antwort kannte nur Forrest, doch der hatte vor langer Zeit beschlossen, sie für sich zu behalten. Ray war froh, dass er über die meisten seiner Geheimnisse schwieg.
    Nach einem kleinen Schläfchen wurde Forrest mit einem Ruck wach und

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