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Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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war der Einzige in Clanton, der an diesem Morgen Joggte, und erntete deshalb neugierige Blicke von den Hausfrauen, die in ihren Blumenbeeten standen, den Bediensteten, die die Veranden säuberten, und den Aus-hilfskräften auf dem Friedhof, die gerade das Gras mähten, als er am Familiengrab der Atlees vorbeilief. Die Erde auf dem Grab des Richters hatte sich bereits etwas gesetzt, aber Ray blieb weder stehen, noch wurde er langsamer, um es sich anzusehen. Die Männer, die das Grab seines Vaters ausgehoben hatten, gruben gerade ein neues. In Clanton gab es jeden Tag Todesfälle und Geburten. Alles blieb meist so, wie es schon immer gewesen war.
    Es war noch nicht einmal acht Uhr, aber die Sonne brannte, und die Luft war drückend schwer. Die Feuchtigkeit machte Ray nichts aus, weil er damit aufgewachsen war, aber er hätte gut auf die schwüle Hitze verzichten können.
    Er fand den Ausgang zu den schattigen Straßen und lief zum Haus zu-rück. Forrests Jeep stand davor, und sein Bruder saß auf der Verandaschau-kel. »Reichlich früh für dich«, sagte Ray.
    »Wie weit bist du gelaufen? Du bist ja völlig verschwitzt.«
    »Das kommt davon, wenn man bei dieser Hitze joggen geht. Acht Kilometer. Du siehst gut aus.«
    Forrest sah wirklich gut aus. Seine Augenlider waren zur Abwechslung einmal nicht geschwollen, der Blick war klar, er hatte sich rasiert und geduscht und trug eine saubere weiße Malerhose.
    »Ich habe mit dem Trinken aufgehört.«
    »Großartig.« Ray setzte sich schwer atmend und immer noch heftig schwitzend in einen Schaukelstuhl. Er würde nicht fragen, wie lange Forrest schon nüchtern war. Länger als vierundzwanzig Stunden sicher nicht.
    Forrest stand auf und zog den zweiten Schaukelstuhl in Rays Nähe.
    »Ach brauche Hilfe, Bruderherz.« Er setzte sich auf die Stuhlkante.
    Warum überrascht mich das nicht?, fragte Ray sich. »Leg los.«
    »Ich brauche Hilfe«, wiederholte Forrest, wobei er sich heftig die Hände rieb, als wären ihm seine Worte peinlich.
    Ray hatte das alles schon oft mitgemacht und keine Geduld mehr. »Was ist los, Forrest?« Meistens ging es um Geld. Falls sein Bruder kein Geld wollte, gab es ein paar andere Möglichkeiten.
    »Ich möchte … an einen Ort, der etwa eine Stunde von hier entfernt ist.
    Er liegt mitten im Wald, ziemlich abgelegen, nett, mittendrin ein hübscher, kleiner See, gemütliche Zimmer.« Er zog eine zerknitterte Visitenkarte aus der Tasche und gab sie Ray.
    Alcorn Village. Therapiezentrum für Drogen- und Alkoholkranke. Eine Einrichtung der methodistischen Kirche.
    »Wer ist Oscar Meave?«, fragte Ray, während er sich die Karte ansah.
    »Ich habe ihn vor ein paar Jahren kennen gelernt. Er hat mir geholfen, jetzt arbeitet er dort.«
    »Ist das eine Entgiftungsklinik?«
    »Entgiftung, Rehabilitation, Therapiezentrum, stationärer Entzug, Spa, Ranch, Dorf, Gefängnis, Klapsmühle - es ist mir egal, wie du es nennst. Ich brauche Hilfe, Ray. Sofort.« Forrest schlug die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen.
    »Ist ja gut«, sagte Ray. »Erzähl mir mehr.«
    Forrest fuhr sich mit den Händen über Augen und Nase und holte tief Luft. »Ruf ihn an und finde heraus, ob sie ein Zimmer für mich haben«, bat er mit zitternder Stimme.
    »Wie lange musst du bleiben?«
    »Vier Wochen, glaube ich, aber Oscar kann dir mehr sagen. «
    »Und wie viel soll das Ganze kosten?«
    »Etwa dreihundert Dollar pro Tag. Ich dachte, vielleicht könnte ich meinen Anteil am Haus beleihen. Harry Rex soll den Richter fragen, ob es nicht eine Möglichkeit gibt, jetzt schon an etwas Geld zu kommen.«
    Für Ray waren die Tränen nichts Neues. Er hatte die Bitten und Verspre-chungen schon so oft gehört. Doch egal, wie hart und zynisch er in diesem Moment sein wollte, er ließ sich doch wieder erweichen. »Ich kümmere mich darum«, sagte er. »Ich werde ihn anrufen.«
    »Ray, bitte, ich will sofort dorthin.«
    »Heute noch?«
    »Ja. Ich … Na ja, ich kann nicht nach Memphis zurück.« Forrest ließ den Kopf hängen und fuhr sich mit den Fingern durch das lange Haar.
    »Sucht jemand nach dir?«
    »Ja.« Er nickte. »Böse Jungs.«
    »Cops? «
    »Nein, die sind viel schlimmer als Cops.«
    »Wissen sie, dass du hier bist?« Ray sah sich um. Er bildete sich schon ein, schwer bewaffnete Drogenhändler hinter den Büschen lauern zu sehen.
    »Nein, sie haben keine Ahnung, wo ich bin.«
    Ray stand auf und ging ins Haus.
    Wie die meisten Menschen konnte sich auch Oscar Meave noch gut an Forrest

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