Der Richter
und führte sie zu einem Büro, wo er sich selbst um die Formulare für die Aufnahme kümmerte. Er war Therapeut, Verwalter und Psychologe in einer Person, ein ehemaliger Süchtiger, der seit Jahren nicht mehr abhängig war und zweimal promoviert hatte. Er trug Jeans, ein Sweatshirt, Turnschuhe, einen Spitzbart und zwei Ohrringe, und seinem Gesicht war anzusehen, dass er stürmische Jahre hinter sich hatte. Aber seine Stimme war leise und freundlich. Er strahlte das robuste Mitgefühl eines Menschen aus, der das, was Forrest bevorstand, schon hinter sich hatte.
Die Therapie kostete dreihundertfünfundzwanzig Dollar pro Tag, und Oscar empfahl einen Aufenthalt von mindestens vier Wochen. »Dann sehen wir, wie weit er ist. Ich werde ein paar sehr unangenehme Fragen stellen, weil ich wissen muss, was er alles angestellt hat.«
»Bei dem Gespräch möchte ich nicht dabei sein«, sagte Ray.
»Keine Sorge, wirst du nicht«, erwiderte Forrest. Er hatte sich bereits mit dem bevorstehenden Verhör abgefunden.
»Außerdem benötigen wir die Hälfte der Summe im Voraus«, sagte Oscar. »Die andere Hälfte ist vor Abschluss der Therapie fällig.«
Ray zuckte zusammen und versuchte, sich an den Stand seines Girokon-tos in Virginia zu erinnern. Er hatte zwar eine große Summe in bar, aber dieses Geld konnte er jetzt nicht auf den Tisch legen.
»Das Geld kommt aus dem Nachlass meines Vaters«, sagte Forrest. »Es könnte ein paar Tage dauern.«
Oscar schüttelte den Kopf. »Keine Ausnahmen. Die Hälfte sofort. Das ist Vorschrift.«
»Kein Problem«, warf Ray ein. »Ich stelle Ihnen einen Scheck aus.«
»Ich möchte, dass das Geld aus dem Nachlass kommt«, wandte Forrest ein. »Du wirst das nicht bezahlen.«
»Ich kann es mir ja aus dem Nachlass holen. Das wird schon gehen.«
Ray wusste zwar nicht, wie, aber darüber sollte Harry Rex sich den Kopf zerbrechen. Er unterschrieb ein Formular, in dem er sich zur Übernahme sämtlicher Kosten verpflichtete. Forrest setzte seine Unterschrift auf ein Blatt Papier, auf dem alle Verbote und Vorschriften aufgelistet waren.
»Sie können frühestens in achtundzwanzig Tagen von hier weg«, sagte Oscar. »Wenn Sie vorher gehen, bekommen Sie keinen Cent von dem bereits gezahlten Geld zurück, und Sie werden hier nie wieder aufgenommen.
Verstanden?«
»Verstanden«, erwiderte Forrest. Wie oft hatte er das schon durchge-macht?
»Sie sind aus freien Stücken hier, ist das richtig?«
»Das ist richtig.«
»Und niemand zwingt Sie dazu? «
»Niemand.«
Da das unbarmherzige Verhör unmittelbar bevorstand, war es für Ray an der Zeit zu gehen. Er bedankte sich bei Oscar, umarmte Forrest und fuhr erheblich schneller davon, als er gekommen war.
25
Ray war jetzt sicher, dass das Geld aus der Zeit nach 1991 stammen musste, dem Jahr, in dem der Richter in Pension gegangen war. Davor war Claudia ständig in seiner Nähe gewesen, und sie wusste nichts von den Millionen. Es war kein Schmiergeld, und er hatte es nicht beim Glücksspiel gewonnen.
Und es stammte auch nicht aus geschickten, heimlich getätigten Investitionen, da Ray keinen einzigen Beleg dafür fand, dass der Richter jemals Aktien oder Rentenwerte gekauft hatte. Der von Harry Rex beauftragte Buchhalter, der die Unterlagen des Richters vervollständigen und die letzte Steuererklärung anfertigen sollte, hatte ebenfalls nichts gefunden. Er hatte gesagt, dass er sämtliche Transaktionen problemlos nachvollziehen könne, da alles über die First National Bank in Clanton gelaufen sei.
Das glaubst du jedenfalls, dachte Ray.
Im Haus waren fast vierzig Kartons mit alten, nutzlosen Akten gelagert.
Die Putzfrauen hatten sie in das Arbeitszimmer des Richters und ins Esszimmer gebracht. Nach ein paar Stunden hatte Ray gefunden, was er suchte. Zwei Kartons enthielten Notizen und Unterlagen - »Prozessakten«, wie der Richter sie auch nach seinem Ausscheiden noch genannt hatte - zu den Fällen, für die er nach seiner Wahlniederlage von 1991 als Sonderrichter zuständig gewesen war.
Während eines Prozesses hatte der Richter immer pausenlos mitge-schrieben. Er notierte sich Datumsangaben, Uhrzeiten, relevante Fakten, alles, was ihm bei der Urteilsfindung in einem Fall helfen konnte. Bei Zeugenaussagen warf er häufig eine Frage ein. Und genauso häufig nutzte er seine Notizen, um die Anwälte zu korrigieren. Ray hatte mehr als einmal gehört, wie der Richter während einer Verhandlungspause in seinem Arbeitszimmer Witze darüber machte,
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