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Der Ring der Kraft - Covenant 06

Der Ring der Kraft - Covenant 06

Titel: Der Ring der Kraft - Covenant 06 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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blind ins Gras.

16
     

»ANDELAIN! VERGIB!«
     
     
    Später fing es an zu regnen. Leichtes Nieseln und Wolken verhüllten die Sterne und den Mond. Der Regen war so sanft wie erste Anzeichen von Frühling, so sauber, freundlich und traurig wie der Geist der Hügel. Er tränkte das Gras, erquickte die Blumen, bekränzte die Bäume mit Girlanden aus zahllosen Tropfen. In keiner Hinsicht wies er Ähnlichkeit mit der hysterischen Wut der Wolkenbrüche einer Sonne des Regens auf. Aber er entzog der Welt den letzten Rest von Licht, umgab Linden mit völliger nächtlicher Dunkelheit.
    Sie lag der Länge nach ausgestreckt am grasigen Untergrund. Aller Wille, alle Bewegungsfähigkeit waren aus ihr gewichen. Sie verspürte gar nicht länger den Wunsch, den Kopf zu heben, sich wieder vom Erdboden aufzuraffen. Die bedrückende Last dessen, was sie erfahren hatte, beraubte sie sogar des schlichten Verlangens nach Atemluft. Ihre Augen blieben dem Regen geöffnet, ohne zu blinzeln.
    Das Nieseln erzeugte auf dem Laub und im Gras ein leises Tröpfelgeräusch, vergleichbar mit einer feinfühligen Elegie. Linden dachte, sie würde dadurch ganz allmählich davongespült, es nie wieder von ihr verlangt werden, sich zu bewegen. Aber dann hörte sie durch das Geplätscher der Tropfen ein anderes Geräusch: einen Laut, der wie das Tönen eines kleinen, makellosen Kristalls klang. Das sachte Läuten sprach von Trauer und Mitgefühl.
    Als sie aufblickte, sah sie, Andelain lag keineswegs vollkommen im Dunkeln. Regen rieselte durch gelben Lichtschein ins Gras. Wie das Läuten stammte die Helligkeit von einer Flamme in der Größe ihrer Handfläche; das Flämmchen tanzte auf und ab, als brenne es an einem unsichtbaren Docht. Und das Feuer, das da gaukelte, sang zu Linden, bot ihr das Geschenk seiner Traurigkeit an. Es handelte sich um einen der Geister Andelains.
    Bei diesem Anblick packte Weh Lindens Herz, drängte sie zum Aufstehen, und sie rappelte sich hoch. Daß solche Dinge vergehen sollten! Daß Covenant sogar Andelain und dessen Geister auf dem Altar seiner Verzweiflung zu opfern bereit war, zuzulassen gedachte, daß soviel einsame und zarte Schönheit dem Leben entrissen werden sollte! Instinktiv erkannte sie, weshalb die Flamme sie aufgesucht hatte.
    »Ich kann mich im Regen nicht zurechtfinden«, sagte sie. Hinter ihren zusammengebissenen Zähnen wütete Empörung. »Bring mich zu meinen Begleitern zurück.«
    Der Geist hüpfte, als wolle er sich verbeugen; vielleicht hatte er sie verstanden. Indem er auf und nieder tanzte und flackerte, entfernte er sich durch den Regen. Tropfen durchquerten sein Licht wie Sternschnuppen.
    Linden folgte ihm ohne Zögern. Finsternis war rings um sie und in ihr; doch die Flamme blieb von klarem Schein.
    Sie führte Linden zuverlässig zurück. Binnen kurzem brachte der Flammengeist sie an die Stelle, wo sie die Gefährten verlassen hatte. Unterm Güldenblattbaum tanzte der Flammengeist für einen Moment über den großen Gestalten der Ersten und Pechnases, die auf der Erde schliefen. Sie waren keine Bewohner des Landes. Ohne von persönlichen Erinnerungen verfolgt zu werden, schlummerten sie, als hätten sie der Ruhe und Friedlichkeit der Hügel nicht zu widerstehen vermocht. Das Flackern des Flämmchens erhellte flüchtig Hohls Umrisse, schimmerte auf dem Regen, der über seine schwarze Tadellosigkeit perlte, so daß er Gravuren aus Geglitzer aufzuweisen schien. Seine ebenholzschwarzen Augäpfel sahen nichts, gestanden nichts zu. Sein ansatzweises Lächeln schien ohne jede Bedeutung zu sein. Covenant dagegen war nicht da.
    Der Flammengeist verließ Linden, als fürchte er es, sie weiterhin zu begleiten. Er verschwand mit leisem Läuten in der Dunkelheit, als verginge eine Hoffnung. Doch sobald sich Lindens Augen der von Wolken umschlossenen Nacht neu angepaßt hatten, erspähte sie einen Hinweis auf das, was sie suchte. In einer flachen Mulde östlich vom Lagerplatz glomm sanftes, perlmutternes Licht. Linden strebte in diese Richtung, und indem sie sich näherte, nahm das Leuchten an Helligkeit zu.
    Der Lichtschein enthüllte Covenant, der vor seinen Toten stand. Das nasse T-Shirt klebte ihm am Oberkörper. Vom Regen dunkle Strähnen seines Haars hingen ihm in die Stirn. Aber er war solchen Umständen gegenüber gleichgültig. Er sah nicht einmal Linden kommen. Seine ganze Aufmerksamkeit gehörte den Gespenstern seiner Vergangenheit.
    Linden erkannte sie anhand der Geschichten und Beschreibungen,

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