Der Ring der Kraft - Covenant 06
so wählte sie ihn zu ihrem Werkzeug aus, als sie das Gesetz des Todes brach, entriß ihn seinem natürlichen Grab, um ihn gegen den Verächter in den Kampf zu schicken. Aber ihr Versuch war von Lord Foul gegen sie gekehrt worden. Sowohl sie wie auch der Stab des Gesetzes waren damit verloren gewesen; und der tote Kevin war dazu gezwungen worden, seinem Gegner zu Diensten zu sein. Als einziger Trost war ihm gewährt worden, daß Thomas Covenant und Salzherz Schaumfolger den Verächter schließlich überwanden. Aber seit jenem Sieg waren unterdessen drei Jahrtausende verstrichen. Das Sonnenübel beherrschte das Land, und Lord Foul hatte seinen Weg zum endgültigen Triumph gefunden. Kevins Gram und Zorn strahlten von ihm in wahren Fluten aus. Seine Stimme war so hart wie ein Drahtseil unter fürchterlicher Belastung.
»Auf unsere Art sind wir Anverwandte, du und ich – Opfer und Vollzieher der Schändung sind wir. Du mußt meine Worte befolgen. Wähne nicht, du hättest darin eine Wahl. Des Landes Bedrängnis gestattet keine Wahl. Du mußt meine Worte beachten. Du mußt! «
Die beiden letzten Worte durchdröhnten Linden wie Hammerschläge, hallten in ihr wider, flehten sie an. Du mußt! Kevin war nicht gekommen, um sie zu erschrecken, er hatte keine bösen Absichten. Statt dessen wandte er sich an sie, weil er keine andere Möglichkeit besaß, um unter den Lebenden zu wirken, etwas gegen die Machenschaften des Verächters unternehmen zu können. Du mußt! Sie verstand Kevin. Lindens ins Gras gekrallte Finger lockerten sich; ihre Sinne unterwarfen sich Kevins Heftigkeit. Sag mir, worum es geht! antwortete sie in Gedanken, als bestünde für sie gar keine Notwendigkeit mehr zu irgendwelchen eigenständigen Entscheidungen. Sag mir, was ich tun soll!
»Du wirst nicht den Wunsch haben, meinen Worten zu folgen. Die Wahrheit ist greulich. Dir wird der Sinn danach stehen, sie zu leugnen. Doch sie kann nicht geleugnet werden. Ich habe Entsetzliches ohne Maß auf mein Haupt kommen lassen und kann durch Hoffnung, die sich der Wahrheit verschließt, nicht geblendet werden. Du mußt meine Worte befolgen.«
Du mußt!
Ja. Sag mir, um was es geht!
»Linden Avery, du mußt des Zweiflers irrwitziges Vorhaben vereiteln. Er gedenkt das Werk des Verächtertums zu verrichten. Wie zuvor ich, so trachtet auch er danach, das zu vernichten, was er liebt. Das darf nicht geduldet werden. Sollte kein anderes Mittel helfen, so mußt du ihn erschlagen.«
Nein! In einer Aufwallung von Grausen lehnte sich Linden gegen Kevins Macht auf – und brachte noch immer nicht einmal genug Kraft auf, um lediglich den Kopf heben zu können. Ihn erschlagen? Ihr von Kevins Blick durchbohrtes Herz wummerte mühsam. Nein! Du mißverstehst etwas. Er würde niemals etwas Derartiges tun.
Aber Kevins Stimme donnerte erneut auf sie herab wie Steinschlag. »Nein. Du bist's, die nicht versteht. Du hast's noch nicht gelernt, die Schläue der Verzweiflung zu begreifen. Könntest du glauben, ich hätte die anderen Lords meine Absicht wissen lassen, als ich in meinem Herzen den Entschluß zum Ritual der Schändung fällte? Ist dir die Gabe deiner Sicht gegeben worden, ohne daß du bislang zu sehen vermagst? Wann immer das Böse zu voller Macht aufsteigt, übertrifft es das Wahre und trägt die Verkleidung des Guten, ohne Entdeckung fürchten zu müssen. Auf selbige Weise bin ich selbst ins Unheil gestürzt worden. Der Zweifler beschreitet den Weg, den seine Freunde unter den Toten für ihn ersonnen haben. Aber auch sie erkennen die Natur der Verzweiflung nicht. Durch seinen tapferen Sieg über den Verächter ist ihre volle Erkenntnis ihnen erspart geblieben – und daher rührt's, daß sie Hoffnung sehen, wo die Schändung lauert. Ihre Vorstellung vom Bösen ist unvollständig und falsch.« Seine Macht sammelte in der Nacht weitere Kräfte, und seine Stimme erscholl mit der einschneidenden Vehemenz eines Alarmgeschreis. »Es ist des Zweiflers Absicht, den Ring aus Weißgold in Lord Fouls Hand zu geben. Wenn du zuläßt, daß er sie verwirklicht, so wird das Ausmaß unseres heutigen Grams in Bälde als Geringfügigkeit gelten, dieweil alle Erde und alle Zeit verloren sein werden. Du mußt ihm in die Arme fallen.«
Seine Forderung hallte nach, bis sämtliche Hügel zu antworten schienen: Du mußt! Du mußt!
Einen Moment danach verließ er sie. Hinter ihm schloß sich die Pforte seiner Macht. Aber Linden bemerkte seinen Abgang nicht. Für lange Zeit starrte sie nur
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