Der Ring des Sarazenen
warf, brach er mit einem hellen Klirren ab. Selbst wenn Omars Krieger es schaffen sollten, auf den Hof herauszukommen, würden sie ihnen durch dieses Tor so schnell nicht folgen.
Mittlerweile hatte gut die Hälfte der Sklaven das Aquädukt auf der anderen Seite der Straße erreicht und war bereits in der Nacht verschwunden. Robin hastete zu dem schräg gestellten Balken, wobei sie jetzt rücksichtslos einen Weg für sich, Saila und Nemeth bahnte, die ihr wie zwei ungleiche Schatten folgten. Sie kletterte mit einer Schnelligkeit zum Mauerkamm hinauf, wie getrieben von der schieren Todesangst. Dort drehte sie sich herum, um Nemeth die Hand entgegenzustrecken.
Das Mädchen zögerte. Offensichtlich hatte es Angst und auch seine Mutter wirkte für einen Moment wieder unentschlossen. Dann aber erscholl hinter ihnen ein vielstimmiger Schrei, und als Robin hochsah, erkannte sie, dass vier Seile gleichzeitig aus dem unvergitterten Fenster auf der anderen Seite geworfen wurden. Gegen so viele bewaffnete und zu allem entschlossene Krieger hatten die halb verhungerten Sklaven nicht die geringste Chance. Jetzt blieben ihnen buchstäblich nur noch Augenblicke.
Saila schien wohl zu dem selben Schluss gekommen zu sein, denn sie packte ihre Tochter mit einer energischen Geste und hob sie hoch, ohne auf ihre erschrockenen Schreie und ihr Strampeln zu achten. Robin ergriff Nemeths dünne Handgelenke und zog sie zu sich hoch.
Das Mädchen schien fast nichts mehr zu wiegen. Robin war klar, dass sie ihm wehtat, als sie es zu sich heraufzerrte, aber auch darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Behutsam richtete sie sich auf der schmalen Mauerkrone auf, sah zum gegenüberliegenden Rand der Straßenschlucht, die ihr plötzlich zehnmal tiefer und hundertmal breiter vorkam als noch kurz zuvor, dann legte sie Nemeth beide Hände auf die Schultern und zwang sie mit sanfter Gewalt, vor sie zu treten.
»Geh einfach los«, sagte sie. »Und sieh nicht nach unten.«
Das Mädchen weinte vor Angst und zitterte wie Espenlaub, aber es setzte gehorsam einen Fuß vor den anderen und balancierte langsam, zugleich aber mit erstaunlicher Sicherheit über die nebeneinander gelegten Balken. Robin folgte ihr mit heftig hämmerndem Herzen. Sie wagte es nicht, nach unten zu sehen, so wenig wie sie es wagte, in den Hof hinabzublicken. Aber was sie hörte, reichte vollkommen aus, um sie davon zu überzeugen, dass ihre schlimmsten Befürchtungen wahr geworden waren. Die Schreie hinter ihr gellten lauter und dann vernahm sie das Klirren von Waffen und wütende Kampfgeräusche. Omars Männer waren im Hof.
Robin hatte noch nicht die Hälfte der Straße überquert, als sie unter sich Schreie und hastige Schritte hörte. Sie widerstand dem Impuls hinabzusehen, bemerkte aber, wie die ersten Verfolger unter ihr versuchten, mit ihren Speeren nach den Flüchtlingen auf der improvisierten Brücke hoch über ihren Köpfen zu stechen.
»Mama!«, wimmerte Nemeth. »Wo ist meine Mama?«
»Deine Mutter ist hinter uns«, versicherte Robin. »Geh weiter. Wir haben es gleich geschafft.«
Der Kampflärm auf dem Hof schwoll an. Kurz bevor sie das Aquädukt erreichten, sah Robin noch einmal in die Gasse hinab. Unter ihnen befanden sich mindestens fünf oder sechs von Omars Kriegern, und weitere Verfolger rannten mit weit ausgreifenden Schritten aus allen Richtungen heran. Überall in der Gasse wurde hinter den Fenstern Licht angezündet, und hier und da hatte sich bereits eine Tür geöffnet oder blickte ein verschlafenes Gesicht aus einem Fenster.
Jemand war hinter ihr, aber sie wagte es nicht, sich herumzudrehen, um sich davon zu überzeugen, dass es tatsächlich Saila war.
Dann, endlich, hatten sie es geschafft. Vor ihr machte Nemeth einen letzten, großen Schritt und versank dann bis an die Waden im langsam fließenden Wasser des Aquädukts. Nur einen Augenblick später trat Robin von der notdürftig errichteten Brücke herunter und drehte sich sofort herum. Sie atmete erleichtert auf, als sie feststellte, dass es tatsächlich Saila war, deren Atemzüge sie hinter sich gehört hatte.
Aber nur für einen winzigen Moment. Dann wandelte sich ihr erleichtertes Seufzen in einen erschrockenen Schrei, als sie die Gestalt entdeckte, die sich weniger als zwei Schritte hinter der Araberin vorsichtig auf dem Balken aufrichtete. Es war kein weiterer Flüchtling, sondern einer von Omars Männern. Die Krieger hatten es aufgegeben, die Brücke mit nutzlosen Sprüngen erreichen zu
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