Der Ring des Sarazenen
Richtung, in der die meisten Sklaven verschwunden waren, sondern genau entgegengesetzt. Das Mädchen wehrte sich heftig, versuchte sich loszureißen und schrie immer lauter nach seiner Mutter, und auch die Schreie und Rufe hinter ihnen wurden heftiger. In dem Durcheinander glaubte sie, Omars Stimme auszumachen, der wütend Befehle erteilte. Ohne sich noch einmal umzublicken, stürzte sie davon, so schnell es ihr auf dem glitschigen Boden möglich war.
Das Wasser war nicht einmal kniehoch und doch erstaunlich kühl. Die steinerne Rinne hatte kein starkes Gefälle, sondern war gerade ausreichend geneigt, um das Wasser in eine bestimmte Richtung fließen zu lassen. Aber ihr Boden war so schlüpfrig, dass Robin mehrmals strauchelte. Einmal fiel sie auf Hände und Knie herab, wobei sie Nemeth um ein Haar losgelassen hätte. Irgendwie gelang es ihr, das Mädchen fest zu halten und sich wieder auf die Beine zu kämpfen. Sie spürte, wie rasch ihre Kräfte jetzt schwanden. Ihr Herz hämmerte, als wollte es aus ihrer Brust springen, und jeder einzelne Schritt schien ihr mehr Mühe abzuverlangen als der vorige.
Und die Verfolger kamen eindeutig näher. Das Aquädukt musste mittlerweile eine Höhe von fünf Schritt oder mehr erreicht haben und stieg sanft, aber stetig weiter an. So sicher sie hier oben auch für den Moment vor ihren Verfolgern sein mochte, so deutlich zeichneten sich die Umrisse von ihr und Nehmet vor dem Nachthimmel ab. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis einer von Omars Kriegern auf das Aquädukt hinaufkletterte, um sie auf dem gleichen Weg zu verfolgen - falls Omar nicht endgültig der Geduldsfaden riss und er seinen Männern gestattete, ihrer Flucht mit einem wohl gezielten Pfeil ein Ende zu bereiten.
Plötzlich fasste sie neuen Mut: Vor ihnen stieg das Aquädukt noch ein Stück weiter an und verschwand dann hinter einer Mauerkrone. Fünf oder sechs Meter darunter endete die Straße vor einer massiven Wand. Ihre Verfolger würden auf diesem Weg nicht weiterkommen, und auf der anderen Seite wäre sie wenigstens für einige Momente ihren Blicken entzogen.
Ohne darauf zu achten, dass sie auf dem glitschigen Untergrund ausrutschen und stürzen könnte, beschleunigte Robin ihre Schritte, bis sie den höchsten Punkt des Aquädukts erreicht hatte. Vor Freude hätte sie fast aufgeschrien, als sie sah, dass die künstliche Wasserstraße dahinter einen scharfen Knick machte und dann dicht an den flachen Dächern mehrerer zweigeschossiger Häuser vorbeiführte. Ohne innezuhalten zog sie das Mädchen hinter sich her und stürmte noch gut zwanzig oder dreißig Schritte weiter, ehe sie stehen blieb und sich umsah.
Robin konnte die wütenden Schreie der Verfolger hören, zu sehen waren sie jedoch nicht mehr. Auch die Wasserrinne des Aquädukts hinter ihnen blieb leer. Überall ringsum in den Straßen waren Rufe zu hören und hektischer Lärm. In vielen Häusern bemerkte sie das gelbe Licht frisch entzündeter Öllampen, aber Robin und das Mädchen schienen noch niemandem aufgefallen zu sein.
Robin blickte einen Moment lang nachdenklich auf die Spur aus Wassertropfen, die rechts und links auf dem steinernen Sims des Aquädukts im Mondlicht schimmerten. Wer immer hier heraufkam, würde diese Tropfenspur bemerken. Aber vielleicht war das auch ganz gut so.
Robin lief noch ein weiteres Dutzend Schritte, bis sie das Dach eines Hauses erreichten, das kaum einen Meter unter ihnen lag. Hastig ließ sie sich in die Hocke sinken, sodass sich ihr Gesicht auf gleicher Höhe mit dem Nemeths befand. »Du musst jetzt ganz genau tun, was ich dir sage«, verlangte sie. »Sie werden gleich hier sein. Wenn wir auch nur einen winzigen Fehler machen, dann werden sie uns wieder einfangen und bestrafen. Hast du das verstanden?«
Das Mädchen blickte sie starr aus ihren großen, vor Tränen schimmernden Augen an. Erst nach einer schieren Ewigkeit nickte es.
»Gut«, sagte Robin erleichtert. »Ich lasse dich jetzt los. Du wirst nicht weglaufen?«
Nemeth schüttelte den Kopf.
Robin war nicht ganz sicher, ob sie diesem Versprechen Glauben schenken sollte, aber welche Wahl hatte sie schon? Schweren Herzens ließ sie Nemeths Arm los, ließ sich noch weiter in die Hocke sinken und schöpfte mit beiden Händen Wasser, um es auf den Rand des Aquädukts und vor allem auf das Dach des nächsten Hauses zu spritzen. Sie bedeutete dem Mädchen, ihr zu helfen, und Nemeth begann sofort, es ihr gleichzutun. Schließlich war Robin sich sicher,
Weitere Kostenlose Bücher