Der Ring
zerrt mich auf die Beine, »wir müssen weiter.«
Die Umgebung verschwimmt vor meinen Augen, mir ist schwindelig, meine Brust brennt. Als mir ein stechender Schmerz durch den Oberkörper schießt, taste ich mich ab – und stelle fest, dass ich mir ein paar Rippen gebrochen habe. Hätte Ahmed mich nicht oben gehalten, wäre ich sofort wieder hingefallen.
Susan will es erst mal allein versuchen. Gemeinsam hinken wir über die flachen Steine des Flussbetts. In ein paar Monaten dürfte es völlig überflutet sein.
Jetzt, auf dem letzten Abschnitt unseres langen Wegs ins Tal, bilden wir einen spontanen Pod. Aneinandergeklammert setzen wir einen Fuß vor den anderen, immer einen vor den anderen. Ich bin keine Kraft mehr. Ich bin Schwäche und Schmerz.
Als wir einen größeren Fels umrunden, schlägt uns ein unverkennbarer Gestank entgegen – und im selben Moment sehe ich ihn.
Ein Bär. Fast so groß wie der Felsblock. Nein, drei Bären, die im ruhigen Wasserlauf planschen, wahrscheinlich auf der Suche nach Fisch. Der nächste und größte ist keine fünf Meter entfernt.
Angst schwängert die Luft, mein Kampfinstinkt schaltet sich ein und wäscht wie ein eisiger Regenguss den Schmerz aus mir heraus.
Offensichtlich sind die Bären ebenfalls überrascht, uns zu sehen.
Der Große stellt sich auf die Hinterbeine. Auf allen vieren ging er mir bis zur Brust, im Stehen überragt er mich um einen Meter. Seine Klauen sind sechs Zentimeter lang.
Wir weichen zurück, aber auf diesem Gelände können wir ihnen nicht entkommen. Ich weiß, dass wir nur eine Chance haben: Wir müssen uns aufteilen.
Aufteilen, sende ich, ehe mir einfällt, dass die drei nicht zu meinem Pod gehören. »Wir müssen uns aufteilen. Rennt, so schnell ihr könnt.«
Doch der Bär kommt nicht näher. Erst denke ich, meine Stimme habe ihn verunsichert – bis ich mich an den Gestank erinnere, der mir hinter dem Felsblock entgegengeschlagen ist.
Pheromone.
Das sind keine gewöhnlichen Bären.
Hallo, sende ich. Das simpelste Signal überhaupt.
Der Bär klappt den Kiefer zu und lässt sich auf die Vorderbeine plumpsen. Kein Essen.
Ein ganz einfacher Gedanke, den ich verstehe, als wäre der Bär Teil meines Pods. Nein, kein Essen, erwidere ich. Freund.
Für einige Sekunden ruhen die feuchten braunen Augen des Bären auf uns, bis er sich mit einer Art Schulterzucken umdreht. Kommt.
Ich will ihm folgen, doch die anderen drei verströmen eine solche Angst, dass ich stehen bleibe. Anscheinend haben sie die Gedanken des Bären nicht geschmeckt.
»Kommt«, sage ich. »Sie tun uns nichts.«
David blickt mich ungläubig an. »Du … du verstehst sie?«
»Ein bisschen.«
»Sie sind ein Pod, oder?« Offenbar kann er es kaum fassen.
Ich selbst habe mich einigermaßen beruhigt, da ich mich unversehens in einer vertrauten Situation wiederfinde: Auf Mother Redds Farm sind wir mit einer genkonstruierten Bibergruppe geschwommen und haben selbst eine Schar Enten modifiziert. Als ich mir die Bären genauer anschaue, entdecke ich auch die Pads an den Hinterseiten ihrer Vorderbeine und die Genickdrüsen zum Ausstoß chemischer Erinnerungen. Damit sie Gedanken auch empfangen können, muss jemand das Geruchszentrum in ihrem Gehirn vergrößert und verbessert haben.
Aber eines passt nicht ins Bild: Das sind Bären, wilde, ungezähmte Tiere. Eigentlich werden solche Experimente nur an kleineren, leichter beherrschbaren Arten durchgeführt. Aber warum nicht auch an Bären?
Trotz meiner schmerzenden Rippen renne ich ihnen hinterher, während sie gemächlich am Wasser entlangtrotten, und tauche in ihr Bewusstsein ein. Ich rieche ihre Gedanken wie silberne Fische in einem Fluss, und diese Gedanken sind alles andere als simpel. Nein, sie sind intelligent.
Während ich Freundschaft sende, streiche ich dem größten Bären über das Fell, das noch nass ist vom Planschen. Ein intensiver Geruch geht von ihm aus, ein wilder, tierischer Gestank, der sich über die Pheromone und chemischen Erinnerungen legt. Aber wahrscheinlich rieche ich noch schlimmer.
Die Haare auf seinem Rücken haben silberne Spitzen, seine Klauen klackern auf dem Geröll. Als ich ihn am Hals kraule, direkt über den Drüsen, erwidert er meinen Druck und stößt Zuneigungspheromone aus. Ich spüre seine tiefen Gedanken, seinen starken Spieltrieb. Sein Körper verströmt Kraft, wahre Kraft.
Einzelne Bilder erscheinen vor meinem inneren Auge, Bilder von Landschaften, topographische Angaben. Eine Stelle,
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