Der Ripper - Roman
»Wosserhin?«
Köpfe wurden geschüttelt, Schultern gezuckt.
»Wer?«, fragte ein Mann mit einer Tonpfeife.
»Was ist denn los?«, fragte eine dicke Frau.
»Habt ihr ihn denn nicht gesehen?«, rief ich.
»Wen sollen wir denn …«
»Den Ripper!«, schrie ich. Dann zeigte ich die dunkle regengepeitschte Straße entlang. »Dort ist er!«
Ein paar Frauen fingen an zu schreien.
»Kommt schon!«, brüllte ich. »Schnappen wir ihn uns!«
Ich machte mich noch gerade rechtzeitig aus dem Staub, bevor die Horde der Verfolger aus der Gassenmündung kam. Nur, dass ich jetzt der Anführer eines eigenen Mobs war. Er bestand aus vier Männern, die wie meine Verfolger begierig waren, den Ripper zur Strecke zu bringen, jedoch nicht auf die Idee kamen, ich könnte der Gesuchte sein.
Wir waren besser bei Kräften als die anderen Verfolger. Es gelang uns, den Vorsprung beizubehalten. Hin und wieder streckte ich den Arm aus, rief ein »Dort ist er!«, und wir bogen um die Ecke.
In diesem Teil der Stadt gab es reichlich dunkle Ecken. Die Straßen waren kurz und schmal und gewunden, voller abzweigender Gassen und Eingänge und Hinterhöfe mit der entsprechenden Anzahl verborgener Nischen.
Als es so aussah, als hätten wir die anderen abgehängt, griff ich mir an die Seite und wurde langsamer. Die Männer sahen mich an. Ich winkte sie weiter. »Macht schon«, keuchte ich. »Lasst ihn nicht entkommen. Er ist da vorn rechts abgebogen.«
Sie liefen weiter.
Ich duckte mich in einen Torbogen, und das keinen Augenblick zu früh.
Der ganze Mob stürmte an mir vorbei. Ich zählte acht Mann, darunter kein einziger Konstabler. Zumindest keiner in Uniform. Diese Tatsache machte mich verdammt froh. Ich hatte sie überlistet.
Nun, ich blieb eine Weile dort stehen, kam wieder zu Atem und versuchte, mir den nächsten Schritt genau zu überlegen. Zu den Hauptstraßen zurückzukehren kam nicht infrage. Eine Menge Leute hatten mich gesehen, und vermutlich hatten mittlerweile noch mehr gehört, dass der Mörder von Whitechapel ein fünfzehnjähriger Bursche war, der mit nacktem Oberkörper durch die Gassen lief.
Ich musste mir ein Hemd besorgen.
Dann würde die Welt schon anders aussehen.
Außerdem würde ich dann nicht mehr so schrecklich frieren.
Ich brauchte ein Hemd.
Ein Hemd, einen Mantel und Schuhe. Und trockene Hosen.
Warum nicht gleich einen Zauberstab?
Es gab nur einen Ausweg: Diebstahl. Ich hatte bereits die Brüste einer Hure gestreichelt und einen Mann erstochen, also schien es keine große Sünde zu sein, jetzt auch noch ein Dieb zu werden.
Wenn es darum geht, meine Haut zu retten, würde ich so ziemlich alles tun, außer einen Freund zu verraten. Das ist eine Tatsache. Es betrübt mich, wenn ich an manche Dinge denke, die ich im Laufe der Jahre tun musste, wann immer ich dem Sensenmann zu nahe kam. Klamottendiebstahl gehört bei weitem nicht zu den schlimmsten Einträgen auf meiner üppigen Liste.
Seinerzeit kam es mir allerdings nicht wie eine Kleinigkeit vor. Ich hatte nie zuvor etwas gestohlen. Aber ich brauchte unbedingt ein Hemd.
Ich wandte mich von der Straße ab, ging durch den schmalen Durchgang und fand mich im Hinterhof einer
Mietskaserne wieder. Einige der Zimmer waren mit Sicherheit verlassen. Ich musste das Richtige finden und einbrechen.
Die erste Tür, genau rechts von mir, gehörte zu Zimmer Nr. 13. Das war eine Unglückszahl, also ging ich weiter und sah mich um.
Aber in allen anderen Zimmern waren Leute.
Allein das Fenster von Nr. 13 war dunkel. Außerdem war es kaputt. Das Loch war mit einem Lappen zugestopft, der die Londoner Regengüsse abhalten sollte. Ich lauschte einen Moment. Hinter dem Fenster war alles still. Das bedeutete nicht unbedingt, dass der Raum leer war, aber es ließ mich hoffen.
Ich ging zur Tür und klopfte leise.
Es meldete sich niemand. Die Klinke ließ sich niederdrücken, aber nicht öffnen, also war die Tür vermutlich von innen verriegelt. Die Vorstellung, dass doch jemand anwesend war, ließ mich beinahe verzweifeln.
Aber dann kam mir der Gedanke, dass derjenige, der dort wohnte, das Zimmer vielleicht durch eine andere Tür verlassen hatte.
Ich ging zurück zum Fenster und zog den Lappen heraus. Leise rief ich durch das Loch im Glas: »Hallo? Jemand zu Hause?«
Keine Antwort.
Ich schob den Arm durch das Loch, tastete in Richtung Tür, und das Erste, was ich berührte, war der Riegel! Das kam mir wie ein Glücksfall vor.
Die Dreizehn mag ja für andere eine
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