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Der Ripper - Roman

Der Ripper - Roman

Titel: Der Ripper - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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aber nie mehr als ihre Arme und Beine, nicht einmal dann, als sie sich nach ihren Sachen bückte.

    Das war ganz schön enttäuschend.
    Natürlich konnte ich es in diesem Augenblick noch nicht wissen, aber noch bevor die Nacht zu Ende war, sollte ich Mary in ihrer ganzen Nacktheit auf dem Bett liegen sehen, und es war ein Anblick, den man seinem ärgsten Feind nicht wünschen würde.

5
    Ein blutiger Mord
    Mary zog sich fertig an und verließ das Zimmer. Ich blieb unter dem Bett zurück.
    Ich fühlte mich gut. Da ich jetzt allein war, war die Angst, entdeckt zu werden, abgeklungen, was mich ganz schwindelig vor Erleichterung werden ließ. Durch das Kaminfeuer war das Zimmer warm und gemütlich.
    Aber vermutlich war es der Rum, der mich am Boden hielt. Vor jenem Abend hatte ich noch nie mehr als einen kleinen Schluck von dem Zeug zu mir genommen, und es machte mich faul und bequem.
    Wie dem auch sei, ich nickte ein. Die Wärme, der Rum und schlichtweg Müdigkeit überwältigten mich, direkt unter Marys Bett.
    Ich bin der festen Überzeugung, nicht länger als ein paar Minuten geschlafen zu haben. Aber in Wahrheit waren es vermutlich ein paar Stunden.
    Als ich erwachte, war es zur Flucht zu spät.
    Ich hatte sie nicht einmal eintreten gehört.
    Ein halbunterdrückter Schrei weckte mich. Es ertönte direkt über mir auf dem Bett. Aber es hatte kaum Ähnlichkeit mit dem Quieken, das Mary beim vorigen Mal ausgestoßen hatte. Dieser Laut war voller Entsetzen und Schmerz; er klang gedämpft, als würde man ihr den Mund zuhalten. Er verstummte schnell.

    Das Bett erbebte weiter. Ich hörte feuchte, klatschende Geräusche. Und das Stöhnen eines Mannes, der sich so richtig ins Zeug legte.
    Dann lief Blut über den Bettrahmen und tropfte direkt neben mir auf den Boden. Im Licht des Feuers sah es purpurrot und glänzend aus.
    Einen Augenblick lang versuchte ich mir einzureden, dass ich noch immer schlief und es sich um einen schrecklichen Alptraum handelte. Es war zu entsetzlich, um tatsächlich geschehen zu können. Aber ich konnte mich nicht überzeugen. Ich wusste, es war real.
    Während ich geschlafen hatte, hatte Mary einen Kerl aufgegabelt und ihn mit in ihr Zimmer genommen, und jetzt war er mit Hingabe damit beschäftigt, sie umzubringen.
    Es konnte sich um niemand anderen als Jack the Ripper handeln.
    Er schlitzte sie direkt über mir auf.
    Ich wollte schreien, biss aber die Zähne zusammen und blieb, am ganzen Leib zitternd, liegen. So viel Angst hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehabt.
    Nach dem, was ich über den Ripper gehört hatte, war er offenbar kein menschliches Wesen. Eher ein Phantom oder ein wütender Dämon aus den Tiefen der Hölle.
    Ich fing an zu beten, dass er sich mit Mary beeilen und dann verschwinden möge.
    Kurz darauf stieg er vom Bett.
    Der Herr schien meine Gebete erhört zu haben.
    Doch ich irrte mich.
    Der Ripper war nicht einmal ansatzweise fertig.
    Er blieb vor dem Kamin stehen. Das Feuer war niedergebrannt, es gab nur noch Dämmerlicht und wenig
Wärme ab. Ich konnte nur seine Schuhe und die dunklen Hosenbeine sehen. Dann warf er ein Mieder und ein Hemd - vermutlich seines - in den Kamin. Sie flammten auf. Er blieb dort einen Augenblick lang stehen, als wollte er sich aufwärmen, dann ging er zu dem Stuhl mit den Kleidungsstücken hinüber. Er kehrte zum Kamin zurück und warf Hut und Unterrock und schließlich noch die Bettdecke hinein.
    Als sie brannte, wurde es heller und heißer im Zimmer.
    Der Ripper zog sich Schuhe und Hose aus. Dazu musste er sich bücken, aber nicht tief genug, dass ich sein Gesicht hätte sehen können.
    Oder er meines.
    Schuhe und Hose warf er nicht ins Feuer.
    Stattdessen legte er sich wieder aufs Bett.
    Mary war vermutlich schon tot. Aber er war noch nicht fertig mit ihr.
    Er fing von vorn an.
    Gelegentlich sagte er dabei etwas wie »Oh, ja!« oder »Das fühlt sich wirklich gut an!« oder »Nun komm schon heraus, du hübscher Leckerbissen«. Er sprach nicht wie jemand aus dem East End. Er sprach wie ein Gentleman.
    Manchmal kicherte er leise.
    Manchmal schien er so in Wallung zu geraten, dass ihm der Atem stockte.
    Und die ganze Zeit über ertönten diese schrecklichen, feuchten, reißenden Geräusche. Ich hörte sogar, wie er etwas aß - Kaugeräusche, ein Schmatzen, zufriedene Seufzer.
    Es war ein Wunder, dass ich mein Abendessen nicht von mir gab.

    Ich versuchte, nicht hinzuhören. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was er da mit Mary machte.

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