Der Riss
durchgedreht, als ob die Welt untergehen würde.“
„Genau. Dabei ist das gar keine große Sache, nur ein totaler Zufall – zwei Dinge, die zusammenfallen. Dauert auch gar nicht so lange.“ Dess lief über den Parkplatz, als sie das sagte, Jonathan federte an ihrer Seite. „Der Trick ist, deshalb keine Herzattacke zu kriegen.“
„Kann man von einer Sonnenfinsternis nicht blind werden?“, fragte Jonathan.
„Doch, das stimmt.“ Dess sah zu dem dunklen Mond hoch.
„Wenn du blöd genug bist, zu lange in die Sonne zu glotzen.“
Rex überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf. „Eine Sonnenfinsternis kann man doch Jahre im Voraus berechnen, oder?“
„Jahrhunderte, Rex“, antwortete Dess und verdrehte die Augen, als ob die Berechnung einer Sonnenfinsternis zu den Dingen gehören würde, die sie nebenbei in der Bibliothek erledigte. (Was, wie Jessica vermutete, wohl auch so war.)
„Jahrtausende sogar. Du musst nur richtig rechnen, dann passieren sie genau nach Plan.“
„Und wo ist dann der Plan?“, fragte Rex. „Ich sag’s noch einmal: In der Lehre wird nirgendwo etwas Derartiges erwähnt.“
„Die Lehre ist nicht vollkommen, Rex“, sagte Jonathan und federte einen knappen Meter in die Luft. „Man kann nicht alles nachsehen. Ich dachte, das hättest du inzwischen kapiert.“
Jessica wartete auf einen Ausbruch. Rex konnte man mit solchen Worten provozieren. Und eine heftige Auseinandersetzung war genau das, was jetzt noch fehlte.
Aber Rex nickte nur und kratzte sich am Kinn. „Stimmt, da könntest du recht haben. Vielleicht ist das einfach nur eine Sonnenfinsternis oder so ähnlich. Total zufällig.“ Er sah zum Himmel hoch und blinzelte, wobei seine Augen purpurfarben aufblitzten.
Jessica wagte einen kurzen Blick auf den dunklen Mond, wovon sie wie üblich Kopfschmerzen bekam. Soweit sie sehen konnte, hatte er sich keinen Zentimeter oder Millimeter von der Stelle gerührt. Bei einer Sonnenfinsternis wanderte der normale Mond doch einfach weiter, oder nicht?
„Also, die Darklinge müssen jedenfalls gewusst haben, dass das hier passiert.“ Melissa meldete sich zu Wort. „Jedenfalls wussten sie irgendwas. Sie feiern immer noch, als wär’s der vierzehnte Juli.“
„Ich schätze, in dem Fall wissen sie Bescheid“, sagte Dess leise.
Jonathan stieß sich sanft ab und erhob sich ein paar Meter in die Luft, um in die Wüste hinauszusehen. „Sag mal, Rex, könnte es sein, dass sie das gemacht haben?“
„Die Darklinge? Vielleicht.“
„Es war aber doch helllichter Tag, als es passiert ist, Rex“, wandte Jessica ein. „Wie konnten die Darklinge da irgendwas tun? Die sind doch in der normalen Zeit irgendwie erstarrt?“
Rex nickte langsam. „Genau, erstarrt. Und in der Wüste tief eingegraben, um der Sonne zu entkommen. Trotzdem … es könnte sein.“ Er zuckte mit den Schultern.
Jessica seufzte. Sie wusste nicht, was beunruhigender war: Der totale Riss in der Zeit, oder Rex, der sich nicht allwissend gab.
Was sich an ihm verändert hatte, ließ sich nicht leicht beschreiben. Einerseits trat er viel sicherer auf, als ob er stärker geworden wäre und seine Angst vor der Daylightwelt verloren hätte. Gleichzeitig konnte er aber völlig desorientiert wirken, als ob die Erde ein unbekannter Planet für ihn wäre und jedes vorbeifahrende Auto ein erstaunliches Wunder.
In Zeiten wie diesen vermisste sie den alten Rex, bei dem man sich darauf verlassen konnte, dass er wenigstens so tat, als ob er wüsste, was los war.
Und wenn sie hier festsaßen? Wenn dies hier wirklich das Ende der normalen Zeit war, wenigstens für die fünf Midnighter? Was sollten sie tun? Bis zum Ende ihres Lebens hinter Dosenfutter herlaufen und sich permanent von den Darklingen verfolgen lassen?
Die geheime Stunde war magisch, konnte aber auch eine Falle sein. Jessica hatte seit ihrer Ankunft in Bixby genug erlebt, um das zu wissen. Wenn sie hier wirklich festsaßen, würde sie ihre Eltern und ihre Schwester nie wiedersehen, außer als wächserne Statuen – Starre. Sie würde nie wieder mit jemand anderem als den vier Midnightern reden und nie mehr die Sonne auf ihrem Gesicht spüren.
Und sie würde nie wieder …
„Mensch, Jessica, kannst du mal damit aufhören?“, schrie Melissa. „Du machst mich fertig, und ich glaube, es passiert etwas.“
Jessica spürte, wie sie rot wurde. „Hast du meine Gedanken gelesen?“
Melissa seufzte. „Mir bleibt gar nichts anderes übrig. Reiß dich einfach
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