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Der Riss

Der Riss

Titel: Der Riss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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sie an ihrem verkratzten Esstisch saßen, umringt von aufgehäuften Tridekagrammen und anderen wirren Formen. Die alte Frau war diese Nacht aber nicht aufgetaucht, und Rex hatte sich so angehört, also ob sie nicht nach unten kommen würde. War sie nicht zu Hause?
    Wo sollte sie um Mitternacht sonst sein?
    „Du hast dich echt von ihr berühren lassen?“, fragte Dess.
    „Melissa war dabei, um mich zu schützen“, sagte Rex.
    Jonathan sah Jessica an, und beide zogen vorsorglich die Köpfe ein und warteten auf die unvermeidliche hässliche Antwort. Aber Dess hustete nur hinter vorgehaltener Faust und verdrehte die Augen. Die Schramme über ihrem Auge, die ihr der Darkling verpasst hatte, hatte die gleiche unheimliche Form wie eine in Melissas Gesicht.
    Jonathan war froh, dass sie den Mund hielt. Heute Abend war Rex auch ohne Provokation beängstigend genug. Seine Miene wirkte irgendwie leer, als ob in seinem Inneren eine Kreatur sitzen würde, die für Halloween eine Rex-Maske aufgesetzt hatte.
    Er sah tagsüber schon ziemlich abartig aus, aber in der geheimen Stunde konnte man den neuen Rex kaum aushalten.
    „Die Darklinge erinnern sich an Samhain“, sagte Rex.
    „In den Geisterferien geht’s dann also richtig ab, oder?“, fragte Dess kopfschüttelnd.
    „Das sind keine Geisterferien“, sagte Rex. „Halloween kam von den Christen. Samhain war keltisch.“
    „Christen?“, wiederholte Dess, dann stöhnte sie. „Nein, Rex, die mein ich nicht. Ich meine die schwarz verkleideten Kids.“
    „Äh, Dess“, mischte sich Melissa ein. „Schau mal in den Spiegel.“

    „Die Farbe dieses Kleides heißt Charcoal “, sagte Dess.
    „Vermutlich hatten die Christen auch so was wie Samhain“, fuhr Rex fort. „In vielen Kulturen gibt es Ende Oktober ein Fest. Allerheiligen. Das sogenannte Schattenfest. Der Tod der Sonne.“
    Jessica zog eine Augenbraue hoch. „Schattenfest? Klingt irgendwie … feierlich.“
    Dess gab einen tiefen Seufzer von sich. „Warum reden wir überhaupt davon? Dieser ganze heidnische Kram kommt aus der Alten Welt, aber hier in Oklahoma ist Halloween nur ein Vorwand, um lauter Süßkram und Kostüme an kleine Kinder zu verkaufen. Angie hatte recht, die Darklinge haben sich lange vor der Ankunft irgendwelcher Europäer versteckt.“
    Jonathan räusperte sich. „Das ist keine rein europäische Angelegenheit, Dess. Kennst du den Tag der Toten unten in Mexiko? Der findet zwar am selben Tag wie Halloween statt, aber die Eingeborenen hatten um die Zeit auch schon einen Feiertag.“
    Rex nickte. „Und einige Native Americans hatten um die Zeit Feste, an denen sie The Old Crone gefeiert haben.“
    Dess lachte. „Entschuldige mal, Rex. Old Crone?“ Sie blickte von einem zum anderen. „Und was waren das noch für welche? Schattenfest? Tod der Sonne? Morgendämmerung der Toten? Geht das nur mir so, oder hören die sich alle so leicht verkrampft gruselig an?“
    „Natürlich tun sie das“, sagte Rex, dessen beängstigende Maske von ihrer Fopperei unberührt blieb. „Sieh dir die kahlen Bäume draußen an, den grauen Himmel, das verdörrte Gras überall. Das Wort Samhain ist keltisch und bedeutet Sommerende. Der Anfang vom Winter.“ Plötzlich hörte sich Rex’ Stimme ausgetrocknet an, als ob er ein paar Tage ohne Wasser draußen in der Wüste verbracht hätte. „Wenn das Licht ausgeht. Der Übergang von warm zu kalt.“
    Alle schwiegen eine Weile, selbst Melissa sah aus, als ob Rex sie erschreckt hätte. Jonathan hörte über seinem Kopf Dielen knarren. Madeleine war also doch da. Aber warum versteckte sie sich da oben?
    Er sah Melissa an und fragte sich, was zwischen den dreien in der vergangenen Nacht wirklich passiert war.
    Dess unterbrach die Stimmung mit einem verzweifelten Stöhnen. „Hier geht es nicht um Geister und Gespenster, Rex, hier geht es um Zahlen. Der elfte Monat plus eins gibt zwölf.
    Das ist alles.“
    Jonathan runzelte die Stirn. Damals in Philadelphia hatte ihn seine Mutter an All Hallows’ Eve immer mit in die Kirche genommen. Bei der katholischen Version von Samhain hatte er auch schon Zustände gekriegt.
    „Rex, sag uns eins“, fragte er. „Damals, bevor Halloween so nett geworden ist, was hatte es da mit Samhain auf sich?“
    „Na ja, ob du’s glaubst oder nicht, die Leute haben sich wirklich verkleidet“, erklärte Rex. „Aber in der Hauptsache haben sie Freudenfeuer angezündet. Sie haben alles verbrannt, was sie hatten, sogar die Knochen ihrer

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