Der Roman eines Konträrsexuellen
schlecht von ihm. Oft hat man ihn gegen meine Angriffe verteidigen müssen. Das Schlimmste ist, daß ich in meinen Urteilen aufrichtig bin und das Böse, das ich ausspreche, auch denke. Ich behandle ihn manchmal in Worten sehr schlecht und schrecke nicht davor zurück, ihm in allem, was er sagt, im Beisein anderer zu widersprechen. Dennoch fühle ich, sobald wir allein sind und er sich als der Herr zeigt, meine Überlegenheit schwinden, die sehr künstlich ist, und falle ihm überglücklich, daß ich ihn in seiner Aufregung und Leidenschaft für mich erleben kann, in die Arme. Jedenfalls suche ich seinetwegen keine anderen Zerstreuungen. Mehr als nötig hat ihn die Gewohnheit zu meinem Herrn gemacht; ich trage nur für Augenblicke nach anderen Verlangen, die mir gefallen.
Ich habe Ihnen gestern am Schluß von der Verzweiflung und von der Wut erzählt, die ich empfand, als ich den jungen Mann wiedersah, dessen Schönheit mir stets aufgefallen war. Er ist so schön, daß ich davon ganz bewegt bin, doch ich betrachte ihn mehr wie ein Kunstwerk als wie einen Mann. Ich beneide wohl die Frau, die er haben wird und die sich seiner wird erfreuen können, doch ich möchte ihn eher zum Geliebten als zum Mann haben: er ist zu vollkommen und muß langweilig werden. Das hindert nicht, daß ich ihn nie ohne Aufregung sehe und heiß von ihm geliebt werden, ihn in meinen Armen halten und sein Liebster sein möchte. Leider ist das unmöglich, und ich muß mich mit dem begnügen, was ich habe – was nicht wenig ist: nicht jeder Mann ist vielleicht so glücklich wie ich. Ich habe leidenschaftlich geliebt, und vielleicht entsprach ich ja dem Bild eines charmanten jungen Mannes in seiner schmucken Männlichkeit; ich habe alle Glut der Eifersucht und der befriedigten Leidenschaft, wenn auch nicht vollständig, so doch in genügender Weise kennengelernt; ich werde in schrecklich heftiger Weise von einem alten Krieger, neben dem viele Männer schwach und klein erscheinen, mit der vollen Kraft der Männlichkeit geliebt; er überschüttet mich mit seiner leidenschaftlichen Zärtlichkeit, und wäre ich seiner nicht ein wenig überdrüssig, könnte ich absolut glücklich sein, daß mein Verlangen so erfüllt wird.
Ich bedaure und werde stets die verkehrte Natur in mir bedauern, die mich an Leib und Seele nicht voll genießen läßt, doch da ich jung, hübsch, reizend und reich bin, tröste ich mich darüber, daß meine Seele ungeheuerlich ist, mit dem Gedanken, daß ich das lasterhafte und anmutige Produkt einer raffinierten und verfeinerten Zivilisation bin.
Ich will Ihnen noch ein wenig von meinem wahren Charakter erzählen, was Sie vielleicht auch interessieren und Ihnen eine vollständige Idee von meiner seltsamen Persönlichkeit geben wird. Ich liebe alles, was schön ist, und fast nichts – in allen Bereichen – ist in meinen Augen schön genug, so sehr liebe ich alles, was außergewöhnlich, teuer und elegant ist. Ich habe in der Phantasie Paläste gebaut, die schöner sind als alle, die bestehen, angefüllt mit Meisterwerken, die ich aus allen Meisterwerken der ganzen Welt ausgewählt habe. Der Anblick eines Kunstwerks, ob es von Natur oder gestaltet ist, hat mich stundenlang in Erregung gehalten, und nachts habe ich davon geträumt.
Die Schönheit ist in meinen Augen alles, und alle Laster, alle Verbrechen scheinen mir durch sie entschuldigt.
Eine der Figuren Balzacs, die mich am meisten entzückt hat, ist der schöne Lucien; ich bilde mir immer ein, daß ich ihm ähnlich sehe, und habe geglaubt, daß die Liebe des schrecklichen Vautrin mehr sinnlicher Natur war, als sich Balzac vielleicht selbst eingestanden hat.
Blumen gefallen mir ungemein, die Treibhausblumen ebenso wie die seltenen, kostspieligen, bizarren Pflanzen; besonders Rosen und große exotische Blumen entzücken mich, sogar in der Malerei. Ich habe eine wahre Abneigung gegen Lilien und alle Wiesenblumen sowie gegen alle, die wild und ohne Pflege wachsen.
In der menschlichen Gemeinschaft liebe ich nur die vornehmen und elegant gekleideten Personen und halte nur sie des Namens Mensch für würdig. Die anderen zählen für mich nicht. Ich mache eine Ausnahme bei den Künstlern, die sich infolge ihrer seelischen Verfeinerung und der Schönheit ihrer Werke eine freiere Haltung gestatten können. Die anderen Leute zählen für mich nicht, und ich habe nur Abneigung gegen sie. Ich ziehe einen prächtigen Hund – einen King-Charles z. B. – allen Arbeitern und Bauern
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