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Der Roman eines Konträrsexuellen

Der Roman eines Konträrsexuellen

Titel: Der Roman eines Konträrsexuellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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gehabt zu lügen, und Sie selbst werden vielleicht die Wahrhaftigkeit dessen, was ich Ihnen schreibe, erkennen. Ich habe mich, glaube ich, sehr hart behandelt und mir weder körperlich noch moralisch geschmeichelt.
    Verzeihen Sie das schreckliche Geschmiere, doch ich schreibe sozusagen mit offenem Herzen, als wenn ich einem Arzte oder einem Freunde beichtete, und deshalb habe ich nicht auf die Form und auf die Orthographie sehen können.
    Das, verehrter Meister, hatte Ihnen zu sagen
    Einer Ihrer leidenschaftlichsten Bewunderer.
    PS. Wissen Sie, mein Herr, was mich getrieben hat, Ihnen hier, wo ich aus Anlaß des Jubiläums des Heiligen Vaters bin, zu schreiben? Es ist die Wut und der Neid, den ich empfunden habe, als ich einen jungen Mann von der vollkommensten und erhabensten Schönheit wiedersah, für den ich einst die edelste Leidenschaft gehegt und zu dem ich nie gesprochen habe und niemals sprechen werde. Ich liebe ihn so sehr, daß ich ihn hasse, und wünschte ihn tot, damit er keinem mehr angehören kann. Haben Sie jemals von einem vergleichbaren Martyrium gehört?

Drittes Dokument
    Verehrter Herr!
    Ich hoffe, Sie haben das Paket mit den so schrecklich geschriebenen Blättern, das ich Ihnen geschickt habe, erhalten. Ich habe sie mit Vergnügen geschrieben, denn ich bin überzeugt, daß Ihnen eine solche Beichte bei Ihren tiefgehenden Studien über die Menschheit, ihre Krankheiten und ihr Unglück, nur angenehm sein kann.
    Ich habe Ihnen während eines traurigen und langweiligen Tages geschrieben, während es in Strömen regnete und die melancholischen Farben sich auf alle Dinge legten. Der letzte Teil dieser Beichte wurde am nächsten Morgen geschrieben, während ein gräßlicher Regen mein Fenster in einem ganz gewöhnlichen und traurigen möblierten Zimmer peitschte.
    Was ich geschrieben habe, ist seltsam von meiner Laune und der mich umgebenden Traurigkeit und Langeweile beeinflußt und durchsetzt. Ich habe alle Farben zu sehr in Schwarz gemalt und mich als das gezeigt, was ich bin, aber sicherlich nicht immer bin. Ich bin so und habe diese Melancholie und diese Traurigkeit, die die Grundlage meines Charakters geworden ist, doch ich streife diese Stimmung oft ab und fühle mich nicht immer so unglücklich.
    Ich schreibe Ihnen dies nach einem köstlichen Diner in großer Gesellschaft, wo ich zahlreiche Komplimente erhalten habe und wo die schweren Weine und der ganze Glanz eines reichen Hauses Herz und Geist entzückten. Ich will deshalb die Studie zu meiner Person vervollständigen, die ich oft als von der Natur begünstigt betrachte, da sie aus mir ein Wesen gemacht hat, welches die kühnsten Poeten nicht zu schaffen gewußt haben.
    Als Mann mit einem herrlichen Körper ausgestattet, besitze ich den Geist, den köstlichen Zauber und den Geschmack der reizendsten Frauen. Ich kann daher zuweilen durch die vereinigten Gaben beider Geschlechter Triumphe feiern, wenn mich auch manchmal das Bedauern fast tötet, weder Mann noch Weib zu sein. Es macht mir Vergnügen, mich mit den verführerischsten Helden der Mythologie zu vergleichen und mir zu sagen, daß Hyazinth, Ganymed und so viele andere reizende Geschöpfe sich in keiner Weise von mir unterschieden und von den schönsten und mächtigsten Göttern angebetet wurden.
    Ich habe einen Widerwillen – und zwar den größten – gegen die Frau, doch ich betrachte die Frauen insgesamt als Wesen von meiner Art und unterhalte die lebhafteste Freundschaft zu mehreren von ihnen, die mir ebenfalls die zarteste Freundschaft erweisen und sich vielleicht, ohne ihre Ursachen zu kennen, über meine Zurückhaltung und Unschuld ihnen gegenüber wundern.
    Ich stehe in regelmäßigem Briefwechsel mit mehreren reizenden Frauen, die mir oft ihre intimsten Gefühle anvertraut haben und denen ich stets durch eine mehr als ausgelassene Unterhaltung gefallen habe. Mehrere taten, als glaubten sie, ich machte ihnen den Hof, und haben mir ziemlich deutlich Avancen gemacht, doch ich habe sofort Widerwillen gegen sie empfunden und sie mir in angemessener Entfernung gehalten. Ich tue immer so, als wäre ich in eine andere Frau verliebt, und gebe Ihnen Einzelheiten über nur in der Phantasie vorhandene Personen, erzähle ihnen auch alle möglichen Dinge, die ich aus Büchern lerne oder von irgendwelchen Freunden erfahre.
    Einmal hat eine verheirate Cousine einige Tage bei uns gewohnt. Sie schlief in einem Zimmer neben meinem, und nur eine Wand trennte unsere beiden Betten, die in den

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