Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
von Sachsen 1 896–1971
Ich fuhr am zeitigen Vormittag in die Stadt, und mein Weg führte mich am Neustädter Bahnhof und am Japanischen Palais vorbei zur Friedrich-August-Brücke. Der Verkehr wogte hin und her, ich genoß wie immer den wunderbaren Anblick der Silhouette der Altstadt mit den Wahrzeichen Dresdens, der Kuppel der Frauenkirche, der Brühlschen Terrasse, dem Schloß, der italienischen Hofkirche, der Semper-Galerie und der Oper. Wohl kaum eine andere deutsche Stadt an einem großen Fluß wies ein solches Bild auf. Ich liebte meine Geburtsstadt und die Residenz meiner Väter mit allen Fasern meines Herzens, ich war geradezu verliebt in sie. Sie zu missen war unvorstellbar. Und doch solltezehn Stunden später die ganze Herrlichkeit in Schutt und Asche liegen!
Ich fuhr zum Palais an der Parkstraße und erledigte dort einige Verwaltungsangelegenheiten. Es war das letzte Mal, daß ich es betrat. Ich nahm meinen Lunch wie immer im »Englischen Garten« im letzten Zimmer unter dem Bild meiner Großtante, der Königin Carola. Acht Stunden später war dort nichts als ein Flammenmeer und ein wüstes Chaos von Balken und Steinen. Dann suchte ich meinen Zahnarzt auf, auch hier war ich das letzte Mal, denn das Haus brannte nieder. Am Spätnachmittag war ich bei Gina und ihrer Schwester zum Tee und einer Plauderstunde eingeladen. Ihre Wohnung lag in einer Villa im Süden der Stadt, im sogenannten Schweizerviertel. Es war friedlich und angenehm, die Zeit verging in anregenden Gesprächen.
Dresden Otto Griebel 1895–1972
Am Fastnachtsdienstag kramten die Kinder allerlei Maskerade aus den Kästen des alten, bunten Bauernschrankes und zogen lärmend in den Straßen herum, was nun einmal das Privileg der Jugend ist, die sich dieses auch in der Kriegszeit nicht nehmen ließ. Ich selbst hatte mir, wie gewöhnlich, mein rundes Tischchen neben den Sammlerschrank ans Fenster gerückt und gab mich unbesorgt musischen Dingen hin.
Nach dem Abendbrot zog ich mir dann meinen Mantel über, setzte den Hut auf und steckte zwei Tabakspfeifen in die Tasche zur wohlgefüllten Tabaksbüchse. Ich fuhr mit der Elektrischen bis zur Neuen Gasse, in der reges Leben herrschte, und trat dann bald in den
Kreis meiner Bekannten und Freunde, die bereits rings um den Stammtisch versammelt saßen.
Nun gab es viel zu erzählen, wobei mir verständlicherweise der Hauptteil zufiel. Die Wirtin traktierte uns nobel mit selbstgebackenen Plinsen und schwarzem Tee, dem ein ordentlicher Schuß langgehüteten Rums zugegossen ward. Tabak spendierte ich, und so wurde es immer gemütlicher im altvertrauten Kreise, wobei wir kaum merkten, wie die Zeit verstrich.
Breslau Der Dramaturg Hugo Hartung 1902–1972
Radio können wir nicht mehr hören, seit der Strom wegbleibt. Aber es sickern auch so alle möglichen beunruhigenden Nachrichten durch: Liegnitz soll in der Hand der Russen sein, und es kann sich nur noch um eine Frage von Tagen handeln, daß der Ring um Breslau geschlossen ist. Der wertvolle Materialtransport, den wir mit so vielen Mühen zusammengestellt haben, ist wieder in den Horst zurückgekommen. Das bedeutet, daß die Bahnstrecke in Richtung Westen unterbrochen ist. Artillerie und Granatwerferfeuer lassen am Abend den kleinen Schuppen am Rollfeld erzittern, in dem jetzt unsere Truppe einsatzbereit liegt. Westlich des Rollfelds geht ein Dorf in Flammen auf. Vielleicht ist es Kriptau.
»Morgen sind wir dran«, heißt es bei unseren Leuten.
(Dresden) Frida Mehnert 1889–1945
An ihre Schwägerin und ihren Bruder in Pirna Liebes Lenel u. Richard!
Nun ist schon Liegnitz besetzt und Görlitz wird geräumt. In Dresden wimmelt es von Flüchtlingen. Das Herz kann einem bluten. Und niemand macht ein Ende. Es wird nicht lange dauern, wird wohl Dresden auch geräumt. Wo soll man dann hin. Daß es einmal so ein Ende nimmt, das hätte niemand gedacht. Am Sonnabend sind 700 Mann Volkssturm fort in der Nacht. Die können einem Leid tun. Warum meldest Du Dich denn nicht mal krank. Ich sehe das schon kommen, die holen jetzt alles. Du wirst schon sehen, dann ist es zu spät. Aber Du hörst doch nicht. Du kannst eben nicht. Beim Karl haben sich auch viele krank gemeldet. Warum Du das nicht einmal tust. Das beunruhigt mich direkt. Also tue es nur. Jetzt ist es noch Zeit. Jetzt mußten die in Breslau geschanzt hatten heim laufen, anders war keine Möglichkeit.
Vor Weißig und auf dem Weißen Hirsch, da schanzen sie schon mächtig. Es ist zum
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