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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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schon die Tagesparole sagt – auf den Zynismus dieser alliierten Erklärung hingewiesen werden, wobei die zahlreichen Stimmen entgegengehalten werden sollen, die aus englischer und amerikanischer Quelle in den letzten Tagen vorlagen, und die darüber frohlockten, dass die bombardierten Städte voller Flüchtlinge waren, und dass daher die Todesopfer sehr hoch sein würden. Die Zeitungen werden gebeten, in diesem Zusammenhange nicht noch einmal die verwüsteten Kulturgüter anzusprechen, da es nicht am Platze ist, hier in Kulturpessimismus zu machen.
    .  
    Köln Der Pfarrer Robert Grosche 1888–1967
    7 Uhr Messe in St. Andreas. Ich feiere die Messe vom vergangenen Sonntag, lese noch einmal die Epistel aus 1 Kor 13, deren Mahnungen wir alle immer wieder brauchen: Caritas patiens est... [Die Liebe ist geduldig ...] Dann das Evangelium, das man einmal von der Mitte aus auslegen müßte: Sie verstanden nichts von all dem. Wir verstehen es ja nie, warum Gott uns in das Leid hineinführt.
     
    Hamburg Der Landesbischof Franz Tügel 1888–1946
    Lieber Herr Kollege Wittmaack
    Für Ihren Gruß aus der Polargegend danke ich Ihnen herzlich. [...] Es ist gut, daß Sie Gedanken über den Römerbrief und die Evangelien aufschreiben, die für eine Religionslehrerin bestimmt sind, und auf diese Weise eine gewisse theologische Arbeit treiben. Wenn Sie meinen, wir müßten wohl auf diese stille Arbeit in der Studierstube, vom Geist des Gebetes getragen, in Zukunft gründlich verzichten, dann möchte ich Ihnen doch widersprechen. Es mag freilich sein, daß die neue Weltlage, die heraufzieht, solche Stille nicht zuläßt, aber dann wird überhaupt alle kirchliche Arbeit von Gewicht und Segen in Gefahr sein. Im Gegenteil dazu glaube ich, daß wir einer Zeit entgegengehen, die bei aller Bescheidenheit und Einschränkung im äußeren Leben uns gestattet, wieder aus den Quellen zu schöpfen, die nur in der Stille der Studierstube und der Gebetskammer fließen. Und zwar einfach darum, weil die Zukunft uns dazu zwingen wird! Wir wollen also bei aller Nüchternheit im Blick auf die Wirklichkeit der Hoffnung sein, daß wir einer Auferstehung des Geistes entgegengehen!
     
    Kalabrien Cesare Pavese 1908 –1950
    Die einzigartige Tatsache, an der du dich so begeisterst, darf in Wirklichkeit, um ihren Wert zu haben, nicht geschehen sein. Sie muß Mythos bleiben, im Nebel der Tradition und der Vergangenheit, das heißt der Erinnerung. Spiritistische Ereignisse, Wunder usw. ärgern dich in der Tat nur, weiter nichts. Da diese Dingegeschehen, sind sie nicht mehr einzigartig, sondern normale Begebenheiten, wenn auch außerhalb der Naturgesetze. (Da sie geschehen, sind sie Teil eines Gesetzes, sei es auch eines okkulten.)
     
    Leuna Renate C. *1932
    Als ich heute aus der Schule kam, sah ich, daß vor unserem Hause ein Feuer brannte. Die Kinder unseres Nachbarn hatten es angefacht. Das Feuer war ziemlich groß. Mutti hat sie sehr ausgeschimpft. »Wenn jetzt Flieger kommen«, sagte sie, »die sehen doch das Feuer, und sie schmeißen ihre Bomben darauf.« Übrigens habe ich heute eine 5 in der Englischen geschrieben, mit 11 Fehlern.

Der Vormittag
    Dresden Gerhart Hauptmann 1862–1946
    Und eine furchtbarere schlimme Nacht. Dann Karlsbader: erbärmliche Schwächefolgen. Allerdings einigermassen nachholenden Vormittagsbetäubung. Draussen herrlich gleichgiltig, schönes Wetter.
    Einige Schritte im Freien.
    Wir trafen auf Liegekur: meine lieben Freunde Halbe, Rittner, König ihr wartet auf mich. Ihr habt überwunden. Kommt zu mir alle! ihr seid zuviel um Euch zu kennen. Aber ich fühle[,] fühle euch alle! »Die Natur« hat meinen Vater schwer vor dem Tode gequält, meine Mutter nicht! Ebenso ist sie sanft gewesen mit meiner Schwester.
    Gott muss Goethe sehr geliebt haben, denn er gab ihm scheinbar ein seliges Ende.
    Trag ein schon des Endes Pein: gebt mir einen Rest von Sein
     
    Dresden Gerhart Hauptmann 1862–1946
    Entrückt dem Wein, den du, Hafis, mir schenktest, hielt mich ein schwarzer Dämon fest,
    und jenen goldnen Nachen, den du lenktest, stieß er hinab ins Meer von Mord nach Pest, Des Lebens ganzer Sinn ward aufgehoben und in qualvollen Widersinn verkehrt,
    er war von Fluch statt Segen ganz durchwoben, was Wahrheit, schien in Lüge ganz verkehrt. Nun heut ein holder Knabe reicht durchs Fenster mir eine Zauberblume her,
    da schwinden hin die ärgsten der Gespenster, und Gott, der Gute, stellt sich wieder her.
     
    Dresden Ernst Heinrich Prinz

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