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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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das Verdienst des Nationalsozialismus, daß er zum ersten Mal die jüdische Frage realistisch angepackt hat.
    Die Juden haben den Antisemitismus immer selbst ausgelöst. Im Laufe der Jahrhunderte reagierten die nichtjüdischen Völker, von den Ägyptern bis zu uns, auf die gleiche Art. Es kommt ein Augenblick, da sie der Ausbeutung durch den jüdischen Betrüger müde werden. Dann geraten sie in Erregung, wie ein Tier das Ungeziefer abschüttelt. Sie reagieren immer heftiger und zuletzt kommt es zur Empörung. Es ist dies eine Art instinktiver Abwehrreaktion, eine Reaktion der Abneigung gegenüber dem Fremden, der sich nicht anpaßt, sondern der Verschmelzung widersetzt, der sich abschließt und zugleich aufdrängt, der einen ausnützt.Der Jude ist seinem Wesen nach der Fremde, der sich nicht angleichen kann und nicht angleichen will. Darin unterscheidet er sich von den anderen Fremden: er beansprucht Rechte als Glied der staatlichen Gemeinschaft und bleibt doch ein Jude. Er hält es für ein ihm zustehendes Recht, solcherart eine Doppelrolle zu spielen, und steht mit dieser Unverfrorenheit in der Tat einzig da in der Welt.
    Die Lage in Ostpreußen ist geradezu fürchterlich geworden. Wir können unsere Trecks kaum noch bewegen; sie liegen fest und es stehen auch nur ungenügend Nahrungsmittel zur Verfügung, um sie zu ernähren. Das Fiasko der ostpreußischen Trecks wird hauptsächlich der Partei in die Schuhe geschoben, und man schimpft auf die Parteiführung in Ostpreußen nach Strich und Faden. Ich glaube auch, daß Teile der ostpreußischen Partei ihrer Aufgabe nicht gewachsen gewesen sind. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, daß der Einbruch in Ostpreußen so plötzlich kam, daß man die Menschen gar nicht mehr wegführen konnte.
    Die Truppe ist auch in Ostpreußen stark angeschlagen. Ich entnehme das einem Bericht von Heysing, der gerade aus dem ostpreußischen Raum nach Berlin gekommen ist. Vor allem hat die Truppe außerordentlich schwere Blutverluste erlitten, was natürlich immer sehr deprimierend auf die Moral wirkt.
     
    Dr. Rudolf Semler *1913

    Der Luftkrieg wird immer schrecklicher. Hitler hat noch keine einzige der bombardierten Städte besucht;er hat in Berlin vielleicht die Strecke vom Anhalter Bahnhof bis zur Reichskanzlei gesehen – mehr nicht. Die Leute in seiner Umgebung sagen, daß er nie Berichte über die zerstörten Städte liest.
    Kürzlich schickte ihm Goebbels ein Album mit Fotografien von zerstörten und beschädigten Denkmälern und berühmten Gebäuden. Bormann sandte das Album zurück mit einer Notiz, die besagte, daß der Führer nicht mit derartig belanglosen Angelegenheiten belästigt werden möchte.
    Hitlers irrsinnige Hoffnung, daß die Feinde sich untereinander zerstreiten, ehe sie Deutschland verwüsten, läßt ihn mit voller Überzeugung weitermachen. Der Urheber dieser Theorie ist natürlich Goebbels. Die Spannungen zwischen den Alliierten ermuntern zu diesem weit verbreiteten und sehr beliebten Glauben.
     
    Berlin Joseph Goebbels 1897–1945
    Er wirkt geradezu aufreizend, wenn in Moskau erklärt wird, die sowjetische Soldateska habe sich im deutschen Reichsgebiet keinerlei Greueltaten zuschulden kommen lassen, im Gegenteil, ihre Disziplin bürge für ein humanes Auftreten; sie verteidige nicht nur das Vaterland, sondern auch die menschliche Würde. Wort und Papier sind geduldig; aber wie die Sowjets es mißbrauchen, das überschreitet alle bisherigen Vorstellungen. Daß die blutrünstigste Diktatur, die es je in der Geschichte gegeben hat, sich mit einem derartigen liberal-humanitären Phrasement umgeben kann, das steht in der Weltgeschichte einzig da.
    Außerdem berichten die sowjetisch[e]n Nachrichten[büros],daß unsere Bevölkerung in den besetzten Ostgebieten sich vorerst einmal an die bolschewistische Soldateska heranzuschmeißen versuche. Sie wende sich in schärfster Form gegen den Nationalsozialismus, und die Ostarbeiter versuchten in den verschiedenen Städten, besonders aber auf dem Lande die Herren über die Deutschen zu spielen. Ich halte diese Meldungen gelinde gesagt für leicht übertrieben. Ich kann mir vorstellen, daß unsere Bevölkerung in den besetzten Ostgebieten vielfach von Angst und Schrecken befallen ist; daß sie dabei aber ihre Würde verliert, das ist für mich unvorstellbar. [...]
    Am Abend kommt dann das Kommuniqué über die Dreierkonferenz, die nach einem Vorschlag Stalins die »Konferenz von Jalta« genannt wird. Man annonciert

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