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Der rote Planet

Titel: Der rote Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander A. Bogdanow
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Erholung und Ruhe suchte, verhielt ich mich ganz anders. Der
Gedanke, dass mein Verbrechen den Genossen unbekannt war und auch von
Gesetzes wegen bezweifelt werden konnte, war mir angenehm. Ich dachte
seltener daran.
    Die Genesung schritt schnell voran, nur hin und wieder kehrte
die
Beklemmung zurück, doch nie für längere
Zeit. Werner war zufrieden mit
mir und befreite mich sogar von der medizinischen Aufsicht. Einmal, als
ich über meine angeblichen Phantasien nachdachte, bat ich ihn,
mir eine
typische Krankengeschichte eines Melancholikers zu geben, denn in der
Anstalt waren sicher schon mehrere solche Kranke behandelt worden.
Werner wählte vor meinen Augen aus einem großen
Stapel eine
Krankengeschichte aus und reichte sie mir.
    Es ging um einen Bauern aus einem entlegenen, gottverlassenen
Dorf,
den die Not in die Hauptstadt getrieben hatte, wo er in einer
großen
Fabrik sein Brot verdiente. Das Leben einer Großstadt hatte
ihn
offensichtlich stark schockiert, und nach den Worten seiner Frau war er
lange Zeit »wie nicht ganz bei Sinnen«. Das verging
allmählich, und er
lebte und arbeitete wie alle anderen. Als in der Fabrik ein Streik
ausbrach, hielt er treu zu den Genossen, Der Streik war lang und
hartnäckig; der Mann, seine Frau und sein Kind mussten schlimm
hungern.
Er »wurde plötzlich traurig«, machte sich
Vorwürfe, dass er geheiratet
und ein Kind gezeugt habe und dass er gar nicht »nach Gottes
Willen
lebe«.
    Danach fing er an zu »spinnen«, man brachte
ihn in ein Krankenhaus
und von dort in die Anstalt des Gouvernements, aus dem er stammte. Er
behauptete, Streikbrecher gewesen zu sein und seine Kameraden verraten
zu haben, darunter einen »guten Ingenieur«, der die
Streikenden
heimlich unterstützt hätte und deshalb von der
Regierung gehängt worden
wäre. Zufällig kannte ich die Geschichte des Streiks
— ich arbeitete
damals in der Hauptstadt. In Wirklichkeit hatte es keinen Verrat
gegeben, und ein »guter Ingenieur« war nicht
eingesperrt, geschweige
denn hingerichtet worden. Der kranke Arbeiter ist schließlich
genesen.
    Die Geschichte weckte in mir Zweifel. Ich wusste nicht mehr,
ob ich
tatsächlich einen Mord verübt hatte oder ob sich mein
Hirn den
Phantasien anpasste, wie Werner gesagt hatte. Zu der Zeit waren alle
meine Erinnerungen an das Leben unter den Marsmenschen
merkwürdig
verworren und blass, in vielem sogar bruchstückhaft und
unvollständig,
und obwohl das Bild des Verbrechens am deutlichsten war,
trübte es sich
doch unter den einfachen und klaren Eindrücken der Gegenwart.
Manchmal
schob ich die kleinmütigen, beschwichtigenden Zweifel beiseite
und
erkannte klar, dass alles Wirklichkeit gewesen war, die ich nicht
ableugnen konnte. Aber dann kamen die Zweifel und Sophismen wieder und
halfen mir, von der Vergangenheit loszukommen. Der Mensch glaubt sehr
gern, was ihm angenehm ist. Und obwohl ich mir tief in meiner Seele
bewusst war, dass ich mir etwas vorlog, klammerte ich mich an diese
Lüge, wie man sich angenehmen Träumen hingibt.
    Ohne diesen Selbstbetrug wäre ich wohl nicht so
schnell und so vollständig gesund geworden.

3. Die Ereignisse in der Heimat
    Werner schirmte mich von allen Eindrücken ab, die
für meine
Gesundheit »nicht nützlich« gewesen
wären. Er erlaubte mir nicht, ihn
in der Anstalt zu besuchen, und von allen Geisteskranken, die sich dort
befanden, konnte ich nur die unheilbar Schwachsinnigen und
Degenerierten beobachten, die frei umherliefen und sich mit
verschiedenen Arbeiten auf dem Feld, im Park und im Garten
beschäftigten. Sie interessierten mich nicht, denn —
offen gesagt — ich
mag nichts, was hoffnungslos, unnötig und unrettbar verloren
ist. Ich
wollte die frisch Erkrankten sehen und vor allem diejenigen, die
gesunden konnten, besonders Gemütskranke und Menschen mit
lustigen
Manien. Werner versprach immer wieder, mir alle Kranken zu zeigen, wenn
meine Genesung ausreichend fortgeschritten sei, aber er
zögerte es
ständig hinaus. So kam es nicht dazu.
    Noch mehr bemühte sich Werner, mich vom politischen
Leben meiner
Heimat zu isolieren. Offensichtlich meinte er, die Erkrankung
wäre auf
Grund der schweren Erlebnisse während der Revolution im Jahre
1905
entstanden; er wollte nicht einmal hören, dass ich die ganze
Zeit unter
Marsmenschen gelebt hatte und gar nicht wissen konnte, was in der
Heimat geschehen war. Meine völlige Unwissenheit

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