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Der rote Planet

Titel: Der rote Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander A. Bogdanow
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herrschte ein doppelter Terror — von oben und von unten
—, wie ihn
unser Land und die Welt nie gekannt hatten.
    Das Land ging offenbar neuen entscheidenden Schlachten
entgegen.
Aber dieser Weg war so lang und voller Dornen, dass viele unterwegs
ermüdeten und sogar verzweifelten. Seitens der radikalen
Intelligenz,
die mit dem Kampf sympathisiert hatte, war der Verrat fast allgemein.
Das brauchte man natürlich nicht zu beklagen. Aber selbst
einige meiner
früheren Genossen waren von Schwermut und Hoffnungslosigkeit
übermannt
worden. Daran konnte ich ermessen, wie schwer und zehrend der
revolutionäre Kampf in der letzten Zeit gewesen war. Selbst
ich, ein
Mann, der sich nur an die vorrevolutionäre Zeit und den Beginn
des
Kampfes erinnern konnte, aber nicht selber das Joch der letzten
Niederlagen getragen hatte, sah deutlich, dass die Revolution
fortgeführt werden musste. In diesen Jahren hatte sich alles
verändert,
viele neue Elemente, die für die Revolution sprachen, waren
hinzugekommen, es war unmöglich, die Lage im Gleichgewicht zu
halten.
Eine neue Welle der Revolution war unausbleiblich und nicht fern.
    Es galt jedoch zu warten. Ich begriff, wie qualvoll und schwer
die
Arbeit der Genossen unter diesen Umständen war. Aber ich
beeilte mich
nicht, sie zu unterstützen, sogar unabhängig von
Werners Meinung.
Vielmehr wollte ich Kräfte sammeln, damit ich dann, wenn ich
unbedingt
gebraucht würde, genügend gewappnet wäre.
    Auf langen Spaziergängen erörterten Wladimir
und ich die Chancen und
Bedingungen des bevorstehenden Kampfes. Von Wladimirs naiv-heroischen
Plänen und Träumen war ich zutiefst gerührt,
er war ein liebes,
edelherziges Kind, dem ein Kämpfertod beschieden sein sollte,
so
anspruchslos und schön, wie es sein junges Leben gewesen ist.
Die
Revolution sucht sich ruhmvolle Opfer und färbt ihr
proletarisches
Banner mit gutem Blut.
    Aber nicht nur Wladimir kam mir wie ein Kind vor. Viel Naives
und
Kindliches, das ich früher nicht bemerkt und gespürt
hatte, fand ich
auch bei Werner, dem alten Parteiarbeiter, und bei anderen Genossen, an
die ich mich erinnerte. Alle Menschen, die ich auf der Erde kannte,
waren für mich noch halbe Kinder, die das Leben nur undeutlich
wahrnehmen und sich unbewusst von innerer und äußerer
Spontaneität
leiten ließen. In diesem Gedanken lag kein Quäntchen
Herablassung oder
Verachtung, sondern vielmehr eine tiefe brüderliche Sympathie
für diese
Menschen-Embryos, die Kinder einer jungen Menschheit.

4. Das Kuvert
    Die heiße Sommersonne hatte gleichsam das Eis
geschmolzen, das auf
unserem Lande gelastet hatte. Das Leben erwachte, und die Vorzeichen
eines neuen Gewitters flammten schon am Horizont auf, dumpfes Grollen
drang aus den unteren Volksschichten. Die Sonne wärmte meine
Seele, und
das Erwachen der Natur stärkte meine Kräfte; ich
spürte, dass ich bald
gesund sein würde wie nie zuvor in meinem Leben.
    In diesem verworren-lebensfrohen Zustand wollte ich mich nicht
an
die Vergangenheit erinnern, und der Gedanke war mir angenehm, dass ich
von der ganzen Welt, von allen vergessen sei. Ich gedachte, erst dann
zu den Genossen zurückzukehren, wenn niemandem in den Sinn
käme, mich
über meine jahrelange Abwesenheit zu befragen — wenn
alle vollauf
beschäftigt wären und meine Vergangenheit
für lange in den stürmischen
Wogen einer neuen Flut versinken würde. Entdeckte ich dennoch
Dinge,
die Zweifel an diesen Plänen weckten, stiegen Angst und Unruhe
in mir
auf, und ich verspürte Feindseligkeit gegenüber
allen, die sich noch an
mich entsinnen konnten.
    Als Werner eines Sommermorgens aus der Anstalt
zurückgekommen war,
ging er nicht wie üblich in den Park, um sich zu erholen, weil
ihn die
Visiten sehr ermüdeten, sondern kam zu mir und fragte mich
ausführlich
nach meinem Befinden. Offensichtlich prägte er sich meine
Antworten
ein. Das alles war etwas ungewöhnlich, und anfangs dachte ich,
er hätte
unsere kleine Verschwörung entdeckt. Aus dem Gespräch
ersah ich jedoch
bald, dass er nichts davon wusste. Dann ging er — wiederum
nicht in den
Park, sondern in sein Arbeitszimmer, und erst eine halbe Stunde
später
sah ich, wie er seine geliebte schattige Allee entlangspazierte. Ich
achtete auf solche Kleinigkeiten, weil sonst nichts geschah. Nach
verschiedenen Vermutungen gelangte ich zu der wahrscheinlichsten
Annahme, Werner wollte jemandem einen

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