Der rote Planet
großen Wohnung, die
ihm als
Chefarzt zustand, überließ er mir zwei Zimmer in
einem anderen brachte
er einen jungen Feldscher unter, in einem weiteren einen in der
Illegalität lebenden Genossen, den er als
Krankenwärter ausgab. Ich
hatte natürlich nicht den Komfort wie auf dem Mars, und bei
allem
Zartgefühl der jungen Genossen war die Beaufsichtigung viel
plumper und
bemerkbarer als vorher, aber das war für mich völlig
unwichtig.
Ebenso wie die marsianischen Ärzte behandelte mich
Doktor Werner
kaum, er gab mir lediglich hin und wieder ein Schlafmittel und sorgte
hauptsächlich dafür, dass ich es bequem und ruhig
hatte. Jeden Morgen
und jeden Abend besuchte er mich nach dem Bad, das die
fürsorglichen
Genossen für mich richteten, aber er kam nur für eine
Minute und
beschränkte sich auf die Frage, ob ich etwas brauche. Ich
hatte mir in
den langen Monaten meiner Krankheit das Reden völlig
abgewöhnt und
antwortete nur »nein« oder erwiderte gar nichts. Aber
seine
Aufmerksamkeit rührte mich, zudem meinte ich, dass ich eine
solche
Behandlung gar nicht verdiene und ihm das mitteilen müsste.
Schließlich
nahm ich meine Kräfte zusammen und sagte ihm, ich sei ein
Mörder und
Verräter, und meinetwegen werde die ganze Menschheit umkommen.
Er
erwiderte nichts, sondern lächelte nur und kam daraufhin
öfter zu mir.
Allmählich wirkte der Wechsel der Umgebung wohltuend
auf mich. Der
Schmerz verkrampfte mein Herz seltener, die Beklemmung ließ
nach, meine
Gedanken wurden immer beweglicher und klarer. Ich konnte das Zimmer
verlassen, im Park und im nahen Wäldchen Spazierengehen. Ein
Genosse
war ständig in der Nähe; das war unangenehm, aber ich
begriff, dass man
einen Mörder nicht frei herumlaufen lassen konnte. Zuweilen
unterhielt
ich mich mit meinen Wächtern, natürlich über
unverfängliche Themen.
Es war zeitiges Frühjahr, und die erwachende Natur
linderte meine
quälenden Erinnerungen; wenn ich die Vögel zwitschern
hörte, fand ich
sogar eine traurige Befriedigung bei dem Gedanken, dass sie am Leben
bleiben würden und nur die Menschen zum Untergang verdammt
wären.
Einmal begegnete mir am Wäldchen ein Geisteskranker, der mit
einem
Spaten zur Feldarbeit ging. Er stellte sich eiligst vor, wobei er sich
mit ungewöhnlichem Stolz als Wachtmeister ausgab. Der Mann
litt an
Größenwahn, und ein Wachtmeister war offensichtlich
der höchste
Dienstrang, den er in seinem Leben kennen gelernt hatte. Zum ersten Mal
während meiner Krankheit musste ich unwillkürlich
lachen. Ich spürte
mein Vaterland, und wie Antäus sog ich neue Kräfte
aus der heimatlichen
Erde.
2. Wirklichkeit oder Phantasie?
Als ich über alles nachdachte, war ich
plötzlich neugierig, ob
Werner und die beiden anderen Genossen wussten, wo ich gewesen war und
was ich getan hatte. Ich fragte Werner, wer mich zu ihm gebracht hatte.
Er antwortete, es wären zwei unbekannte junge Männer
gewesen, die ihm
jedoch über meine Krankheit nichts mitteilen konnten. Sie
hätten mich
in der Hauptstadt krank angetroffen, hätten von mir den Namen
Doktor
Werner gehört und sich deshalb an ihn gewandt. Am gleichen
Tage, an dem
sie mich gebracht hatten, waren sie wieder fortgefahren. Werner hatte
in ihnen zuverlässige Genossen gesehen, denen er nicht zu
misstrauen
brauchte. Er selbst hatte mich schon vor einigen Jahren aus den Augen
verloren und von niemandem etwas über mich erfahren
können.
Ich wollte Werner die Geschichte meiner Mordtat
erzählen, doch das
kam mir sehr schwierig vor, denn die verwickelten Umstände
mussten
jedem nüchtern denkenden Menschen sehr merkwürdig
erscheinen. Als ich
Werner meine Verlegenheit erklärte, erhielt ich von ihm den
Rat:
»Am besten, Sie erzählen mir
vorläufig gar nichts. Das schadet nur
Ihrer Genesung. Natürlich werde ich nicht mit Ihnen streiten,
aber ich
glaube Ihre Geschichte sowieso nicht. Sie leiden an Melancholie, einer
Krankheit, bei der sich die Menschen völlig aufrichtig
unerhörte
Verbrechen zuschreiben, und ihr Hirn, das sich diesen Phantasien
anpasst, schafft die falschen Erinnerungen. Aber auch Sie
würden mir
nicht glauben, bevor Sie nicht genesen sind, und deshalb ist es besser,
wenn Sie Ihre Geschichte bis dahin für sich behalten.«
Wenige Monate früher hätte ich .in Werners
Worten zweifellos größtes
Misstrauen und höchste Verachtung gesehen. Aber nun, wo meine
Seele
schon
Weitere Kostenlose Bücher