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Der rote Planet

Titel: Der rote Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander A. Bogdanow
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Gedanke
wäre für mich sehr
tröstlich gewesen, aber mir blieben ernste Zweifel. Ich meine,
Menni
hätte seine Bedenken Arbeitern gegenüber
überprüfen sollen.
    Warum war ich denn gescheitert?
    Beim ersten Male war eine Unmenge fremder Eindrücke
auf mich
eingestürzt, die grandiose Vielfalt überflutete mein
Bewusstsein und
unterspülte die Ufer. Mit Nettis Hilfe überlebte und
bewältigte ich die
Krise. Aber hat nicht die erhöhte Sensibilität und
die verfeinerte
Wahrnehmungsfähigkeit, die Geistesarbeitern eignet, diese
Krise
verstärkt? Hätte nicht ein Mensch mit einer etwas
primitiveren, weniger
komplizierten, dafür aber organisch gefestigteren und
stabileren Natur
alles leichter durchgestanden? Wäre für ihn der
übergang nicht weniger
schmerzhaft gewesen? Sicherlich wäre es für einen
wenig gebildeten
Proletarier nicht so schwer gewesen, in eine neue, höhere
Existenzform
zu gelangen. Er hätte zwar mehr lernen müssen,
dafür aber hätte er
weniger umzulernen brauchen, und gerade das ist das Schwerste. Menni
ist in einen Fehler des Kalküls verfallen, indem er dem
Bildungsgrad
mehr Bedeutung beimaß als der Fähigkeit zu
kultureller Entwicklung.
    Beim zweiten Male zerbrachen meine seelischen Kräfte
am Charakter
der Kultur, der ich mit meinem ganzen Wesen angehören wollte:
Mich
bedrückte ihre Höhe, das Ausmaß ihrer
sozialen Bindungen, die Reinheit
und Eindeutigkeit der Beziehungen zwischen den Menschen. Sternis Rede,
in der die Unvereinbarkeit zweier Lebenstypen auf plumpe Weise
dargelegt wurde, war lediglich ein Vorwand, nur der letzte
Anstoß, der
mich in den dunklen Abgrund stürzte. Der Widerspruch zwischen
meinem
Empfinden und dem sozialen Milieu — in der Fabrik, in der
Familie, im
Umgang mit Freunden — war für mich
un-überwindbar. Und wiederum: War
dieser Widerspruch nicht weitaus stärker für einen
revolutionären
Intellektuellen, der stets neunzig Prozent seiner Arbeit entweder in
der Abgeschiedenheit oder unter Bedingungen einseitiger Ungleichheit
als Lehrer und Leiter von anderen vollbracht hatte — also in
der
Absonderung seiner Person? Wäre der Widerspruch nicht
schwächer und
milder für einen Menschen, der neunzig Prozent seines
Arbeitslebens in
einer zwar primitiven und unentwickelten, dafür jedoch
kameradschaftlichen Umgebung verbringt, mit der etwas groben, aber
wirklichen Gleichheit aller? Das war wohl so, und Menni sollte seinen
Versuch erneuern, aber mit einem anderen Menschen,
    Mir hingegen blieb, was zwischen zwei Katastrophen gewesen
war, was
mir Energie und Mut für einen langen Kampf gab, was mir auch
jetzt
erlaubt, ohne ein Gefühl der Erniedrigung meine
Schlüsse zu ziehen. Das
ist — Nettis Liebe.
    Zweifellos war Nettis Liebe ein Missverständnis, ein
Irrtum ihres
edlen und leidenschaftlichen Herzens. Aber ein solcher Irrtum war
möglich — das kann niemand bestreiten und
ändern. Und das verbürgt die
wirkliche Nähe beider Welten, ihr künftiges
Verschmelzen zu einer
einzigen schönen und harmonischen Welt, wie es sie bisher nie
gab.
    Und ich selber... Hier gibt es kein Resultat. Das neue Leben
ist mir
unzugänglich, und in das alte will ich nicht zurück.
Ich gehöre ihm
weder mit meinem Verstand noch mit meinem Gefühl an. Der
Ausweg ist
klar.
    Ich muss die Aufzeichnungen beenden. Mein Helfer wartet im
Park auf
mich, da ist sein Signal. Morgen werden wir beide weit fort sein, auf
dem Wege dorthin, wo das Leben brodelt und überkocht, wo es
leicht ist,
die verhasste Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft zu verwischen.
Leben Sie wohl, Werner, mein alter, guter Genosse!
    Es lebe das neue, bessere Leben! Ich grüße
sein lichtes Erscheinungsbild, meine Netti!

Aus Doktor Werners Brief an den
Literaten Mirski
    (Offenbar aus Zerstreutheit hat Werner den Brief nicht
datiert.)
     
    Die Kanonade war längst verstummt, und immer noch
wurden Verwundete
gebracht. Die meisten waren keine Milizionäre und Soldaten,
sondern
friedliche Bürger; viele Frauen, sogar Kinder, vor dem
Schrapnell sind
alle Bürger gleich. In mein Lazarett, das dem Schlachtfeld am
nächsten
lag, wurden hauptsächlich Milizionäre und Soldaten
eingeliefert. Die
vielen Wunden von Schrapnellen und Granatsplittern
erschütterten sogar
mich, einen alten Arzt, der ich früher mehrere Jahre als
Chirurg
gearbeitet hatte. Aber all den Schrecken übertönte
ein freudiges
Gefühl, ein frohes Wort:

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