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Der rote Prophet

Der rote Prophet

Titel: Der rote Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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selbst. Denn auf allen Pfaden, auf denen Harrison auch nur die geringste Gnade walten ließ, trug das Massaker von Tippy-Canoe nichts dazu bei, um die Vernichtung der Roten aufzuhalten und mit ihr die Vernichtung des Landes. Auf all diesen möglichen Zukunftspfaden würde der rote Mann immer kleiner werden, würden die Roten in winzige Reservate eingesperrt werden, bis das ganze Land weiß geworden und brutal unterworfen worden war, aufgerissen und geplündert und vergewaltigt, bis es riesige Mengen an Nahrung hervorbrachte, die nur eine Imitation der wirklichen Ernten waren, durch die Verschlagenheit der Alchimie zu falschem Leben verlockt. Sogar der weiße Mann selbst mußte in diesen Visionen der Zukunft leiden, doch es würde noch viele Generationen dauern, bis er erkannte, was er getan hatte. Und doch gab es hier – hier in Prophetstown – einen Tag, da die Zukunft auf einem zwar unwahrscheinlicheren, aber besseren Pfad gelenkt werden konnte. Auf einen Pfad, der doch noch zu einem lebendigen Land führen würde, auch wenn es verstümmelt war; der eines Tages zu einer Kristallstadt führte, die das Sonnenlicht einfing und es für alle, die in ihr lebten, in Visionen der Wahrheit verwandelte.
    Das war Tenskwa-Tawas Hoffnung, daß er nämlich durch all den Schmerz des morgigen Tages hindurch die strahlende Vision würde festhalten können, um den Schmerz, das Blut, das schwarze Geräusch des Mordens in ein Ereignis umzuwandeln, das die Welt verändern würde.
    Noch bevor die ersten Strahlen des Lichts am Horizont erschienen, spürte Tenskwa-Tawa die nahende Dämmerung. Er spürte sie zum Teil im sich regenden Leben im Osten, aber auch in der Bewegung unter den Weißen, als diese sich daranmachten, die Zündhölzer für ihre Kanonen zu entfachen. Vier Feuer, von Zaubern und Hexerei verborgen und dadurch enthüllt. Vier Kronen, aufgestellt, um die Stadt zu bombardieren.
    Tenskwa-Tawa schritt durch die Stadt, summte leise vor sich hin. Die Bewohner hörten ihn und weckten ihre Kinder. Die Weißen wollten sie im Schlafe töten. Statt dessen jedoch traten sie in die Dunkelheit hinaus, begaben sich sicheren Fußes zur großen Weide, die als Versammlungsort diente. Hier gab es nicht genug Platz, als daß alle auch nur hätten sitzen können. So blieben sie stehen, die Familien beieinander, Vater und Mutter mit ihren Kindern, und warteten darauf, daß der weiße Mann ihr Blut vergoß.
    »Die Erde wird euer Blut nicht aufsaugen«, hatte Tenskwa-Tawa ihnen versprochen. »Es wird in den Fluß strömen, und ich werde es dort behalten, all die Kraft eures Lebens und alle eure Tode, und ich werde es nutzen, um das Land am Leben zu halten und den weißen Mann an die Ländereien zu binden, die er bereits erobert und zu töten begonnen hat.«
    Und so bahnte sich Tenskwa-Tawa nun seinen Weg zum Ufer des Tippy-Canoe, um zuzusehen, wie die Weide sich mit seinem Volk füllte, mit den Menschen, von denen so viele vor seinen Augen sterben würden, weil sie an seine Worte glaubten.
    »Stellt Euch neben mir auf, Mr. Miller«, sagte General Harrison. »Es ist Euer Blut, das wir heute rächen werden. Ich möchte Euch die Ehre zuteil werden lassen, die erste Kugel in diesem Krieg abzufeuern.«
    Mike Fink sah zu, wie der rotäugige Miller sorgfältig Ladepfropf und Kugel in den Lauf seiner Muskete stopfte. Mike erkannte den Blutdurst in seinen Augen. Es war eine Art von Wahnsinn, die einen Mann überfiel und ihn gefährlich machte, die ihn dazu befähigte, Dinge zu tun, die sonst außerhalb seiner Reichweite geblieben wäre. Mike war ziemlich froh darüber, daß Miller nicht wußte, wann und wie sein Junge gestorben war. Gewiß, Gouverneur Bill hatte ihm nie geradeaus mitgeteilt, wer der junge Mann gewesen war, aber Mike Fink war nicht auf den Kopf gefallen. Harrison spielte ein raffiniertes Spiel, soviel aber war sicher: Er würde alles tun, um nach oben zu kommen und noch mehr Land und Menschen unter seine Herrschaft zu bringen. Und Mike Fink wußte auch, daß Harrison ihn nur so lange um sich dulden würde, wie er ihm nützlich war.
    Merkwürdig war nur, daß Mike Fink sich selbst nicht für einen Mörder hielt. Für ihn war das Leben ein einziger Kampf, und jene, die nur die Zweitbesten waren, mußten eben sterben, doch das war nicht dasselbe wie Mord, es war eben ein fairer Kampf. So, wie er Hooch getötet hatte – Hooch hätte nicht so achtlos zu sein brauchen. Hooch hätte bemerken können, daß Mike nicht zusammen mit den anderen

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