Der rote Prophet
dich vom Wasser fernzuhalten«, sagte Measure, »und jetzt schau mal, wo sie dich nun hinbringen.«
Der Wind war heiß und heftig, manchmal wallte er auf und ließ Sandkörner wie winzige Pfeile umherschießen. »Dich aber auch«, meinte Al.
»Sieh mal, da braut sich ein richtiges Gewitter zusammen.«
Weitab im Südwesten wurden die Wolken schwarz und häßlich. Das war kein gewöhnlicher Sommerregen. Blitze zuckten über das Antlitz der Wolken. Der Donner kam sehr viel später. Als Alvin zusah, hatte er plötzlich das Gefühl, als könnte er viel weiter schauen als vorher, als könnte er das Brodeln in den Wolken erkennen, die Hitze und die Kälte spüren, die eisige Luft, die in die Tiefe fegte, die heiße Luft, die emporjagte, wie sich alles im riesigen Kreis des Himmels wand.
»Ein Tornado«, sagte Al. »In dem Sturm dort steckt ein Tornado.«
»Ich kann keinen erkennen«, meinte Measure.
»Er kommt. Schau doch mal, wie die Luft sich dort dreht. Schau dir das nur an.«
»Ich glaube dir, Al. Aber es gibt hier keinen Platz, wo man sich unterstellen könnte.«
»Schau dir nur diese ganzen Leute an«, sagte Alvin. »Wenn es uns hier erwischt ...«
»Seit wann kannst du das Wetter voraussagen?« fragte Measure. »Das hast du noch nie getan.«
Darauf wußte Al keine Antwort. Er hatte tatsächlich noch nie einen Sturm so deutlich in seinem Inneren gespürt wie jetzt. Es war wie die grüne Musik, die er gestern nacht gehört hatte; seitdem diese Roten ihn gefangengenommen hatten, geschahen alle möglichen merkwürdigen Dinge. Doch er durfte keine Zeit mehr damit verlieren, darüber nachzudenken, woher er das wußte – es genügte, daß er es wußte. »Ich muß irgend jemanden warnen.«
Alvin stürzte so schnell die Düne hinunter, wie nie zuvor in seinem Leben. Measure jagte ihm nach und rief: »Sie haben uns gesagt, wir sollen so lange hier oben bleiben bis ...« Ein Windstoß ließ ihn verstummen. Al mußte die Augen mit der Hand abschirmen, das Gesicht vom Wind abwenden, mußte alles tun, was verhinderte, daß er geblendet wurde, während er auf die Roten zulief, die sich am Ufer versammelt hatten.
Ta-Kumsaw war leicht auszumachen, und dies nicht nur, weil er so groß war. Die anderen Roten hatten viel Raum um ihn herum gelassen, und er stand da wie ein König. Al lief direkt auf ihn zu. »Es kommt ein Tornado!« schrie er. »In der Wolke dort drüben stecken Tornados!«
Ta-Kumsaw legte den Kopf zurück und lachte; der Wind war so laut, daß Al ihn kaum hören konnte. Dann griff Ta-Kumsaw über Als Kopf hinweg, um die Schulter eines anderen zu berühren, der vor ihm stand. »Das ist der Junge!« rief Ta-Kumsaw.
Al blickte den Mann an, den Ta-Kumsaw berührte. Dieser andere Rote benahm sich überhaupt nicht wie ein König – überhaupt nicht wie Ta-Kumsaw. Er war etwas gebeugt, und es fehlte ihm ein Auge, schlaff hing das Lid über der leeren Höhle. Er wirkte angespannt, seine Arme waren eher drahtig als muskulös, die Beine waren regelrecht verkümmert. Doch als Al ihm ins Gesicht blickte, erkannte er ihn wieder.
Ganz kurz ließ der Wind nach.
»Leuchtender Mann«, sagte Al.
»Schabenjunge«, erwiderte Tenskwa-Tawa, Lolla-Wossiky, der Prophet.
»Dich gibt es wirklich«, sagte Al. Kein Traum, keine Vision. Ein wirklicher Mann, der am Fußende seines Bettes gestanden hatte, verschwindend und wieder erscheinend, mit einem Gesicht, das so grell wie Sonnenlicht geleuchtet hatte, daß es die Augen geschmerzt hatte, es anzublicken. »Ich habe dich nicht geheilt!« sagte Al. »Das tut mir leid.«
»Doch, das hast du getan«, erwiderte der Prophet.
Dann fiel Al wieder ein, weshalb er die Düne hinuntergelaufen und in das Gespräch zwischen den beiden größten Roten auf der ganzen Welt geplatzt war, diesen Brüdern, deren Namen jeder Weiße jenseits der Appalachees kannte.
»Tornados!« rief er.
Wie um ihm zu antworten, peitschte der Wind wieder auf, jetzt heulte er schon. Al drehte sich um und sah, daß das, was er geschaut und gespürt hatte, nun Wirklichkeit wurde. Am Himmel bildeten sich vier Wirbel, die aus der Mitte des Sturmes heraushingen wie Schlangen von einem Baum.
Alle vier kamen auf sie zu, berührten jedoch noch nicht den Boden.
»Jetzt!« rief der Prophet.
Ta-Kumsaw reichte seinem Bruder einen Pfeil mit einer Feuersteinspitze. Der Prophet setzte sich in den Sand und rammte die Spitze des Pfeils erst in die Sohle seines linken, dann in die seines rechten Fußes. Sofort strömte das
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