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Der rote Prophet

Der rote Prophet

Titel: Der rote Prophet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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lächelte. »Dann also das Gatlopp.«
    Inzwischen hatte sich eine ganze Schar von Roten um sie versammelt, und als sie das Wort Gatlopp hörten, begannen sie zu jauchzen und zu lachen.
    Es gab nicht einen Weißen in ganz Amerika, der nicht davon gehört hatte, wie Dan Boone das Gatlopp gelaufen und immer weiter gelaufen war, als er das erste Mal vor den Roten floh; es gab aber auch andere Geschichten von Weißen, die dabei zu Tode geprügelt wurden. Geschichtentauscher hatte ab und zu davon erzählt, als er letztes Jahr zu Besuch gewesen war. Es ist wie ein Juryurteil, hatte er gesagt, wobei die Roten einen hart oder leicht schlagen, abhängig davon, wie sehr man ihrer Meinung nach den Tod verdient hat. Halten sie dich für einen tapferen Mann, schlagen sie hart zu, um dich mit Schmerz zu prüfen. Halten sie dich aber für einen Feigling, brechen sie dir die Knochen, so daß du das Spießrutenlaufen nicht überlebst. Der Häuptling kann ihnen auch nicht sagen, wie heftig sie schlagen sollen und wohin. Das ist so ziemlich das demokratischste und heimtückischste Justizsystem, das es je gegeben hat.
    »Ich sehe, daß Ihr Euch davor fürchtet«, sagte Ta-Kumsaw.
    »Natürlich tue ich das«, erwiderte Measure. »Ich wäre ein Narr, wenn ich es nicht täte, vor allem, da Eure Jungs mich ohnehin schon für einen Feigling halten.«
    »Ich werde das Gatlopp vor Euch durchlaufen«, entschied Ta-Kumsaw. »Ich werde ihnen sagen, sie sollen mich ebenso kräftig schlagen wie Euch.«
    »Das werden sie nicht tun«, widersprach Measure.
    »Sie werden es tun, wenn ich es ihnen befehle«, erwiderte Ta-Kumsaw. Er mußte Measures ungläubige Miene bemerkt haben, denn er fügte hinzu: »Und wenn sie es nicht tun, werde ich das Gatlopp noch einmal durchlaufen.«
    »Und wenn sie mich töten, werdet Ihr dann auch sterben?«
    Es war nicht zu verkennen, daß die Feldarbeit Measure zwar kräftig, aber nicht zäh gemacht hatte. »Der Schlag, der Euch umbringen kann, würde mich wahrscheinlich nur verletzen.«
    »Ihr gebt also zu, daß es nicht fair ist.«
    »Fair ist es, wenn zwei Männer demselben Schmerz ins Auge sehen. Tapfer ist es, wenn zwei Männer demselben Schmerz ins Auge sehen. Ihr wollt es nicht fair haben, sondern leicht. Ihr seid ein Feigling. Ich wußte, daß Ihr es nicht tun würdet.«
    »Ich werde es tun«, versetzte Measure.
    »Und du!« rief Ta-Kumsaw und zeigte auf Alvin. »Du wirst nichts berühren, du wirst nichts heilen, du wirst nichts gesund machen, du wirst keinen Schmerz fortnehmen!«
    Alvin sagte kein Wort, er blickte ihn nur an. Doch Measure kannte diesen Blick. Diese Miene setzte Alvin immer auf, wenn er keinerlei Absicht hatte, das zu tun, was man ihm sagte.
    »Al«, sagte Measure. »Du solltest mir lieber versprechen, daß du dich nicht einmischen wirst.«
    Al verkniff nur die Lippen und sagte nichts.
    »Du solltest mir lieber versprechen, daß du dich nicht einmischen wirst, Alvin Junior, sonst kehre ich nicht nach Hause zurück.«
    Alvin versprach es. Ta-Kumsaw nickte und ging fort, um mit seinen Shaw-Nee zu reden. Measure war übel vor Furcht.
    »Warum fürchtet Ihr Euch, weißer Mann?« fragte der Prophet.
    »Weil ich nicht dumm bin«, antwortete Measure. »Nur ein dummer Mann würde sich nicht vor dem Gatlopp fürchten.«
    Der Prophet lachte nur und ging davon.
    Die Krieger stellten sich in zwei Reihen auf. Sie trugen schwere Äste, die von Bäumen herabgefallen oder abgeschnitten worden waren. Measure sah zu, wie ein alter Mann Ta-Kumsaw die Halskette mit den Perlen abnahm, dann entkleidete er ihn auch noch seines Lendenschurzes. Ta-Kumsaw wandte sich an Measure und grinste. »Der weiße Mann ist nackt, wenn er keine Kleidung hat. Der rote Mann ist niemals nackt in seinem eigenen Land. Der Wind ist meine Kleidung, das Feuer der Sonne, der Staub der Erde, das Wasser des Regens. Alle diese trage ich am Leib. Ich bin die Stimme und das Antlitz des Landes.«
    »Kommt endlich zur Sache«, erwiderte Measure.
    »Ich kenne jemanden, der meint, daß ein Mann wie Ihr keine Poesie in der Seele hat«, sagte Ta-Kumsaw.
    »Und ich kenne jede Menge Leute, die der Meinung sind, daß ein Mann wie Ihr nicht einmal eine Seele hat.«
    Ta-Kumsaw funkelte ihn an, dann bellte er seinen Männern einige Worte zu und trat zwischen die Linien.
    Er schritt langsam dahin, das Kinn emporgereckt und arrogant. Der erste Rote schlug ihn auf die Waden mit dem dünnen Ende eines Astes. Ta-Kumsaw riß ihm den Ast aus den Händen, drehte ihn um

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